Charmant zwischen Cassadó und Bach - Berner Bücherwochen feierten Konzert mit der Cellistin Maria Kriegel (NWZ berichtet)
Nwu berichtet
Charmant zwischen Cassadó und Bach
KONZERT Cellistin Maria Kliegel brilliert in Warfleth Geheimnisvolles Küchenpülverchen – Zwei Zugaben
ZEHN
MINUTEN VOR KONZERTBEGINN FAND DIE MUSIKERIN VON WELTRANG DIE KLEINE
SCHIFFERKIRCHE AM DEICH. IM ALTEN PFARRHAUS SPIELTE SIE SICH WARM.
VON HORST HOLLMANN
BERNE -
Der Ehrentitel „La Cellissima“ mag eine Diva ankündigen. Doch das ist
Maria Kliegel am allerwenigsten. Die Cellistin von Weltrang wird in der
St. Marienkirche in Warfleth beim Soloabend künstlerisch beeindruckend
ihrem großen Ruf gerecht. Aber sie entpuppt sich auch als charmante
Plauderin, die manches Geheimnis um ihr Instrument und um die Musik
lüftet – oder auch um Küchenpülverchen für die bessere Griffigkeit der
Finger.
Was Reinhard Rakow, der Initiator der Berner Bücherwochen, als
ein kurzer Alptraum erschienen war, hätte sich allerdings vor dem
ersten Bogenstrich fast eingestellt. „Stell dir vor, Maria Kliegel
spielt bei uns – und niemand kommt“, hatte er geunkt. Dafür gab es in
Anbetracht der früh bis auf den letzten Platz gefüllten Kirche keinen
Gedanken mehr. Doch die Sache wurde anders herum vertrackt: Alle waren
da – nur die Künstlerin kam nicht!
Doch zehn Minuten vor dem geplanten Auftakt traf die Cellistin
ein. Sie hatte lange den Weg zum Veranstaltungsort suchen müssen. So
gab es, um die Zeit ihres Aufwärmspielens im Pfarrhaus zu überbrücken,
Improvisationen. Keine musikalischen. Literarische, versteht sich,
passend zum lokalen Anlass.
Doch dann ist alle Zeit vergessen. Die 3. Cellosuite C-Dur von
Johann Sebastian Bach hat Maria Kliegel mitgebracht. Da erweist sie
sich als Musikerin, die sich keinen Dogmen unterordnet. Neugierig hat
sie nach den Aussagen Bachs hinter seinen Noten geforscht. Aber ihr
breites Ausdrucksspektrum stellt sie über jede zeitgemäße
Einschränkung. Dosierter Vibratoeinsatz zählt dazu, das Spiel wirkt
impulsiv, es schreckt auch nicht vor Überzeichnung zurück. Den
Moll-Mittelteil der Bourree verfeinert sie bezwingend. Aber ihr Spiel
bleibt stets diszipliniert. Immer noch viel gibt es bei Bach zu
entdecken. In der Sarabande der 5. Suite, einer von zwei Zugaben,
verblüfft sie mit in dieser Form noch nie gehörten Pizzicati.
Nahezu alle technischen Möglichkeiten des Cellospiels demonstriert
Maria Kliegel bei der Solosuite des Spaniers Gaspar Cassadó. „Eine
Herausforderung ersten Ranges“ nennt die Interpretin selbst die drei
von spanischem Rhythmus und spanischer Folklore angehauchten Sätze.
Fast muskulös wird da der Celloton, trotzdem federnd, er schneidet nie
in hohen Lagen, er grummelt nie in der Tiefe. Und so kann sie das
denkwürdige Konzert mit einem Augenzwinkern abschließen: einer
blitzenden Tarantella, fast kürzer als der Name des Komponisten Rogelio
Huguet y Tagell. Aber der Beifall, der gerät natürlich ganz lang!