Christine Michelfeit rezensiert: 'Zwischen meinen Welten unterwegs' in: Die Begegnung

Christine Michelfeit in: Die Begegnung, Innsbruck, 31. Jg., Nr. 152, 2012, S.42-44

(HG) Andreas Klink, Artur Nickel: Zwischen meinen Welten unterwegs. Neues von Kindern und Jugendlichen aus dem Ruhrgebiet.
Geest-Verlag, 2011. ISBN 978-3-86685-321-8


In der neuesten Reihe der Essener Anthologie gehen Dr. Artur Nickel und Andreas Klink der Frage nach, zwischen welchen Welten sich Kinder und Jugendliche im Ruhrgebiet bewegen. Wie immer war das Echo sehr groß, aus den zweihundert Beiträgen wurden siebzig für den vorliegenden Band ausgewählt, jeder für sich erzählt seine eigene Geschichte, wahr oder erträumt. Da die Vorstellung von „Welten“ an sich schon schwierig zu definieren ist, wurden die Texte in einzelne Kapitel eingeteilt, beginnend mit dem Thema: WELTENBUMMLER.
Und da bekommt der Leser in dem Beitrag der 10jährigen Anna Bernhardt bereits eine Vorstellung, in wie vielen Welten Kinder leben können oder müssen. Wenn Anna schreibt ,JDie Welten meiner Mutter und meines Vaters sind schon mal tausend Galaxien voneinander entfernt. Meine Eltern sind geschieden...,, dann versteht man auch, warum sie sich noch mehrere Welten aufbaut. Es sind die der Großeltern, der Freunde, und erst alle Welten zusammen ergeben dann ihr “persönliches Leben. “
Die Welt der Freunde ist besonders für Kinder jüngeren Alters sehr wichtig, eine Art Gegenwelt zur Schule, die in den meisten Beiträgen nicht gerade sehr gut davonkommt. Noch wichtiger ist sie für Migranten-Kinder, denen oft mit Misstrauen und Ablehnung begegnet wird. Wenn dann noch ein Kopftuch getragen wird, wie von Ebru Aldemir, wird es besonders schwierig. Aber Ebru setzt sich durch und überzeugt ihre Mitschüler, „dass das Kopftuch einen Menschen nicht verändert. “
Die Familie spielt in der Weltenskala wohl die größte Rolle, auch wenn hier die Auffassungen verschieden sein können. Das Wort „Scheidung der Eltern“ ist den zugewanderten Kindern völlig fremd, sie leben in der Geborgenheit einer großen Familie, zu der alle Verwandten zählen. Tubhan Cirak (16 Jahre) schildert ein ERLEBNIS IM PARK, das mit wenigen Worten den Unterschied aufzeigt. Bei einem gemeinsamen Ausflug mit seiner Familie, zu der auch alle Tanten, Cousins usw. zählen, sieht er eine deutsche Familie, die jedoch nur zu dritt ist: “Ich war schockiert. Ich war da mit meiner ganz großen Familie und die deutsche Familie mit nur drei Personen. Das war für mich etwas Neues. “
Aus den meisten Beiträgen kann man schließen, daß sich die Migrantenkinder in ihrer neuen Heimat wohl fühlen. Auch hier bestehen wieder Unterschiede zwischen denen, die im Ruhrgebiet geboren, und den anderen, die erst zugezogen sind. Daher sind auch die Eindrücke, die sie bei Besuchen in der „alten Welt“, der Heimat ihrer Eltern empfangen, verschieden. Manche spüren noch eine gewisse Verbundenheit, andere sehen nur die große Not und die Annut, die dort herrschen und sind froh, wieder zurückkehren zu können. Deutschland ist ihr Zu Hause geworden.
In den Kapiteln SPIEGELWELTEN und TRAUMVERLOREN können die jungen Autoren ihrer Phantasie freien Lauf lassen. Es sind längere Erzählungen, kleine Theaterstücke, Tagebucheintragungen, Märchen, in denen sich die Vorstellungen ihrer eigenen Welten spiegeln. Ab und zu wird auch ein Gedicht eingeschoben.
Die Beiträge der Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen zehn und zwanzig Jahren sind sehr unterschiedlich. Einige überraschen durch ihre Reife und Ernsthaftigkeit, andere durch ihre Phantasie, insgesamt aber geben sie einen guten Gesamteinblick in ihre eigenen Welten. Und wenn das letzte Kapitel die Frage stellt: MEINST DU, WIR KÖNNEN DAS SCHAFFEN? so kann die Antwort darauf nur positiv sein.
Robert Bansmann (17 Jahre) erzählt eine kurze Geschichte eines vom Schicksal gebeutelten Jungen, dessen Lebensachterbahn tief “m den Keller fuhr." Und Robert schließt mit den Worten “Egal, wie tief die Lebensachterbahn fährt, irgendwann fährt sie auch wieder hinauf. “