Corinna Anne Hoffman wird mit ihrem Buch immer wieder zu Vorträgen über Autismus eingeladen

Um Autismus eine Bühne zu bieten, hat das Autismus-Therapiezentrum Bassum einen Vortrag mit einer Betroffenen organisiert: Corinna Hoffmann.

Bassum – Es kostet Corinna Hoffmann viel Überwindung, sich auf eine Bühne zu stellen und vor zig Menschen zu sprechen, sehr viel Überwindung sogar. Und trotzdem hat die 24-jährige Frau aus dem Landkreis Vechta diesen für sie anstrengenden Schritt am Mittwochabend anlässlich des Welt-Autismus-Tages in Bassum gewagt. Denn bei Hoffmann ist vor ein paar Jahren Autismus diagnostiziert worden.
Corinna Hoffmann will Sichtbarkeit für das Thema Autismus schaffen

Über ihre persönlichen Erfahrungen damit hat die Klientin des Autismus-Therapiezentrums Bassum (ATZ) ein kürzlich veröffentlichtes Buch geschrieben. Damit und mit dem vom ATZ organisierten Vortrag, den sie auf der mit rund 80 Besuchern gefüllten Kulturbühne hält, möchte sie Sichtbarkeit für das Thema Autismus schaffen – „auch wenn ich zwei Tage später noch immer kaputt von diesem Abend bin“, wie sie verriet.

Ein Abend, der allerdings mit einem Problem begann: Der für die Präsentation notwendige Ton wollte einfach nicht aus den Lautsprecherboxen dringen. Für die häufig sehr ordnungsliebenden und an Routinen gewöhnten Menschen mit Autismus wie Hoffmann muss das eine stressige Situation gewesen sein. Und dennoch stellte sie sich der Herausforderung. Vielleicht auch deshalb wirkte die 24-Jährige anfangs noch zurückhaltend, sprach leise und suchte Halt in ihren Notizen, als sie sich selbst vorstellte und Kinderfotos von sich zeigte, auf denen sie wie ein ganz normales Kind wirkte; wären da nicht die erst auf dem zweiten Blick erkennbaren Details wie die sorgfältig aufgereihten Spielzeuge.

Aber mit jedem gesprochenen Wort wurde Hoffmanns Stimme fester, lauter, selbstbewusster: Sie war drin im Thema, mit dem sie sich in den vergangenen Jahren offenbar intensiv beschäftigt haben muss. Sie wagte einen Ausflug in die Funktionsweise des menschlichen Gehirns: Wie es funktioniert, Kontexte schafft, lernt. Wie es nach Mustern sucht, aber dabei auch Raum für Anpassungen an Abweichungen solcher Muster schafft. Dann schwenkte sie um auf die Besonderheiten autistischer Gehirne. Diese seien häufig „kontextblind“, weshalb sie Dinge wortwörtlich interpretierten. Und auch wenn es ein ernstes Thema ist: Hoffmann musste selbst schmunzeln, als sie erzählte, dass sie gemäß der Verpackungshinweise einst Fischstäbchen von allen Seiten vier bis sechs Minuten gebraten habe – von allen sechs Seiten.

Immer wieder nickten die Besucher im Publikum. Viele von ihnen schienen Betroffene oder Angehörige von Menschen mit Autismus zu sein und die Probleme Hoffmanns nachvollziehen zu können. So auch bei der Feststellung, dass Corinna Hoffmann als Kind beim Aufreihen ihrer Spielzeuge Sicherheit verspürt und ein Gefühl von Kontrolle gehabt habe. Deutlich drastischer schilderte sie weitere Zeichen sogenannten selbststimulierenden Verhaltens: Bei ihr habe sich das im Verrenken und Kneten der eigenen Finger geäußert. „Ich habe mir schon jeden Finger mindestens einmal dabei gebrochen“, zeichnet sie ein dramatisches Bild.
Autistin Corinna Hoffmann veröffentlicht ein Buch

Um Punkt 18.10 Uhr klingelte ein Handy. Es war der Wecker von Corinna Hoffmann: Es war an der Zeit für sie zu trinken, schließlich folge sie einem exakt durchgetakteten Plan zur Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Den verband sie mit der kurz darauf startenden Pause, in der schließlich auch die Tonprobleme gelöst werden konnten. Die später gezeigten Videos von der gefühlten Reizüberflutung autistischer Menschen entfalteten damit ihre volle Wirkung.

Noch eindringlicher aber wogen die Schilderungen der jungen Autorin: Dass sie Probleme habe, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, erschwere den Austausch mit anderen. „Kommunikation ist mein größtes Problem“, sagte sie. Und auch wenn sie im Vortrag aufblühte und kaum Probleme mit dem Kommunizieren zu haben schien: Blickkontakt mit dem aufmerksam zuhörenden Publikum mied sie konsequent. Auf einer Skala der Unhöflichkeit sortiere sie sich wegen solcher Dinge grundsätzlich auf einer 7 ein – wenn sie schweigt. „Beim Sprechen ist es eine 9 bis 10.“ Böse gemeint sei das selbstverständlich nicht.

Hoffmann las später auch Absätze aus ihrem Buch vor, in denen sie die Menschen in ihrem Umfeld mit Wassertropfen verglich, während sie sich selbst als Öltropfen bezeichnete, dem es unmöglich sei, eine Verbindung zu den anderen Tropfen zu schaffen. Trotz solcher bildhaften Verdeutlichungen blieben offenbar viele Fragen offen, zumindest wurde die Autorin abschließend vom Publikum gelöchert: Ob sie Mobbing-Erfahrungen gemacht hat, wie das Verhältnis zu ihrer Familie ist oder wie ihr Verhältnis zu Zahlen ist. „Ich würde bestimmte Dinge gerne noch genauer erklären“, sagte sie irgendwann im Verlauf des Abends, „aber dafür habe ich keine Zeit.“ Dann grinst Corinna Hoffmann und schiebt hinterher: „Ich hab‘ es aber ins Buch geschrieben!“
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