Danke für alle Beileidsbekundungen zum Tode von Reinhard Rakow

Wir danken allen Autoren, Freunden und Bekannten für die Beildeidskundgebungen zum Tode von Reinhard Rakow. Für alle ist dieser frühe Tod nicht fassbar, unwirklich. Doch wir alle wisssen, es muss in seinem Sinne weitergehen. Versprochen, es wird auch Gedenklesungen für unseren verstorbenen Freund und Kollegen geben, an der sich alle beteiligen können. Erster Termin soll der 12. Mai im Museum Nordenham sein. Wer sich beteiligen will aus Nordenham und Umgebung, melde sich bitte bei uns im Verlag.

Auf vielfachen Wunsch hier noch einmal der Nachruf auf Reinhard Rakow


Reinhard Rakow - ein Nachruf von Alfred Büngen



Viele kennen es seit Jahren. Nach Mitternacht oder in den frühen Morgenstunden eine kurze Mail, häufig mit mühsam zu entschlüsselnden Kürzeln, Regieanweisungen für eine nächste gemeinsame Aufgabe, Reflexion über ein Stück Literatur, gelegentlich eine auch nicht immer nur freundliche Stellungnahme zu einer geäußerten Meinung. Seine Mails Teil seiner unbändigen Schaffenskraft, die ihn für Berne, die Wesermarsch, die Literatur, die Malerei, das Theater, die künstlerische Kritik, die Organisation von Literatur und Musik zu einem unersetzbaren Menschen werden ließ.
1952 wurde er in Gelnhausen geboren. Seine Herkunft, seine Sprache verleugnete er nicht, verarbeitete sie auch in zahlreichen literarischen Texten immer wieder. Und bei jedem Lesen seiner Texte brach sie wieder auf scharfe und zugleich charmante Art durch, seine hessische Herkunft. Nach der Schule Studium der Rechtswissenschaften, Psychologie und Germanistik, arbeitete zuerst als Rechtsanwalt. Literatur, Malerei, Theater, Philosophie und die Musik, das war immer seine Welt. Unfassbar belesen, mit allen Spielarten der Musik und Malerei vertraut, blieb es nicht theoretisches Wissen. Zahlreiche eigene Bücher, noch im vergangenen Jahr gab er jeweils drei 400-seitige Bände seiner Gedichte im Geest-Verlag heraus. Ausdruck seines rastlosen Schaffens, sein Versuch, sich mit der Welt auseinanderzusetzen. Fast jeden Tag ein neues Gedicht, ein neuer Text. Roman oder Lyrik, Essay oder was auch immer, die literarische Form musste zu seiner jeweiligen Fragestellung passen. Intuitiv wählte er die adäquate Form, die geeignete Kunst. Sprache war Spielplatz seiner Verfasstheiten, seiner Ausdrucksmöglichkeiten, auch seines Streits mit anderen. Denn auch streiten konnte er vorzüglich, manchmal unverzeihlich. Einen letzten großen Roman bekam er nicht mehr fertig. Vielleicht können wir ihn dennoch eines Tages als Fragment einmal lesen.
Doch es war Reinhard Rakow nicht nur wichtig, Sprache und Musik zu gebrauchen und zu erleben. Stets wollte er vermitteln. Literatur, Kunst und Musik vor allem an die Menschen, die fernab dieser großen Bildung stehen. So vermittelte er Literatur, Philosophie, Politik und Musik in verschiedensten Vorstellungsformaten. „Süddorfer E-Musik“, „Edewechter Kunsttage“, „Mnemosyne“, „Berner Bücherwochen“, „Berne bringts“ sowie unzählige organisierte Vorträge von namhaften Wissenschaftlern, Politikern und, und, und. Man lese einfach mal die Programme der letzten Jahre in der Warflether Kirche, die Vorträge im Rahmen der Bücherwochen. Das alles sein Werk, immer wieder, unermüdlich. Hochgenüsse für jeden Kenner. Und selbst wenn nur wenige Gäste kamen, sein Ansinnen blieb unerschütterlich: Wir müssen Musik, Sprache an jeden Menschen heranführen, ihm verstehbar machen.
Und in 8 Berner Bücherwochen öffnete er das Buch für Menschen, die professionell oder auch als Laien schreiben. Er organisierte Workshops zum Erlernen des Schreibens, schuf Orte niederschwelliger Art, an denen gelesen wurde, diskutiert wurde, versuchte mit Schreibprojekten an Schulen, Kinder rechtzeitig an das Buch heranzuführen. Er organisierte nicht nur, er suchte auch die Finanzierung all dieser Projekte, gab für 8 Berner Bücherwochen Anthologien heraus, an denen sich mehrere Tausend Autoren aus aller Welt beteiligten.
Vielleicht am intensivsten berührte ihn die Musik. Fast möchte man fragen, wer war noch nie in der wunderbaren Warflether Kirche und hörte eines der Konzerte mit den großen WeltmusikerInnen? Er machte diese kleine Kirche zu einem Ort, an dem sich MusikerInnen von höchsten Ruhm um ein Konzert bewarben. Nie wird man vergessen, wie er sich mit einer Blume und Tränen in den Augen bei den Künstlern und Künstlerinnen bedankte, wie er mit einer Hannelore Hoger sogar in Weihnachtslieder einstimmte. Ja, in dieser kleinen Kirche mit der großen Musik, da war er bei sich.
Doch am bewegtesten erlebte man Reinhard Rakow, wenn es darum ging, die Shoa in Erinnerung zu rufen, sich gegen jede rechte und rechtsradikale Orientierung zur Wehr zu setzen. Präventive Erinnerungsprojekte gerade mit der Berner Oberschule, die Erinnerung an die Berner Juden, niemand engagierte sich in dieser Arbeit so intensiv wie Reinhard Rakow. Grundlage dabei die immer wieder betonte Grundposition: Demokratie ist ein immer wieder notwendiger Prozess des freiheitlichen Denkens und Handelns.
Und vielen ist nicht geläufig, welch Menschenfreund Reinhard Rakow war. Wie er Menschen in Not unterstützte, mit Rat und Tat, mit Geld und Gespräch, wie er sich einsetzte, vorsprach an Stellen in Verwaltung und Politik, bis Sachen gelöst waren, bis jemand wieder Boden unter den Füßen hatte.
Ja, Reinhard Rakow, der unermüdlich Schaffende, Organisierende, Schreibende, Vermittelnde, der Menschen Freund, so wird er uns in Erinnerung bleiben mit seiner unverkennbaren Stimme. Sein Platz wird leer bleiben, niemand wird ihn einnehmen können. Das macht es unfassbar, das macht es aus, dass wir nicht wollen, dass er nicht mehr ist.
Er selbst schreibt in einem seiner Gedichte über sich selbst
Erkenntnis

Sei jeden Tages, den du leben durftest, froh
Und feire ihn, als wäre es dein letzter
Die Chancen, früh zu gehn, war’n gut und viel
Und deine Lebenslust selten zuvor zerfetzter

Der Wind, der die Kulissen schiebt, spielt stetig
Mit Wolkenresten wie mit geblich’nem Sand
Dein Gnadenvorrat ist verbraucht durch Warten
Durch Zagemut und Mangel an Verstand

Ich sag es mir und rede es vergeblich
Mir vor dem Spiegel ein seit Jahren, Tag für Tag.
Drum wenn ich nicht mehr bin, braucht keiner weinen:
Er war halt keiner, der sich am Herzen lag.


Am Samstag, dem 19. März 2022 verstarb Reinhard Rakow unerwartet und plötzlich, niemand konnte Abschied nehmen. So bleibt er unter uns, der, der bestimmt morgen wieder seine Mail schickt mit seinen Kürzeln, was alles noch zu tun sei in den nächsten Tagen.