Demnächst im Geest-Verlag - Andree Leu: ... und Gott ist der Richter

Seinen Roman-Erstling legt nun

Andree Leu  mit '... und Gott ist der Richter

vor, der im Sommer im geest-Verlag erscheinen wird.

Hier einen kleinen Leseauszug:

Friedel erwachte von dem lauten Gejohle auf der Straße. Die Neugier trieb ihn aus dem Bett ans Fenster. Vorsichtig schob er den Vorhang zur Seite und sah auf die Straße. Sein Puls beschleunigte sich augenblicklich. Das kleine Herz schlug ihm bis zum Hals. Schnell duckte er sich hinter den schützenden Vorhang, lugte aber nur wenige Augenblicke später wieder auf die gespenstischen Lichter auf der Straße. Mit hellen Fackeln in der Hand, mit Farbtöpfen und Pinseln bewaffnet, zog eine ganze Horde Männer durch die Straße. Friedel hörte genau, wie ihre harten Stiefel im Gleichschritt den Takt auf das Pflaster hämmerten. Atemlos ließ er sich zu Boden sinken, doch die erschauernde Faszination ließ ihm keine Möglichkeit. Er musste sich wieder erheben, zusehen und Zeuge werden.
„Kauft nicht bei Juden!“ und „Juden raus!“, hörte er die Menge immerzu johlen. Einer der Männer malte einen übergroßen Davidstern an die gegenüberliegende Hauswand. Wie riesige Blutstropfen lief die rote Farbe herunter und tropfte auf den Gehweg.
„Juden raus!“, schrie der Mann, reckte beide Arme in den schwarzen Nachthimmel und sah dabei direkt in Friedels Fenster.
Das ist doch Willi, dachte Friedel erschrocken. Und in diesem Augenblick schien der Mann auch Friedel zu sehen. Als ob er direkt mit Friedel in Verbindung getreten wäre, dröhnten seine Worte in den Ohren des Jungen: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein! – Juden raus.“
Friedel sah, wie sich Willis Körper straffte und sein Arm lang ausgestreckt, mit geraden Fingern und angelegtem Daumen, schräg in die Nacht zeigte.
„Heil Hitler“, murmelte der Junge und erwiderte den Gruß, während er Willi nachblickte, der mit hartem Klang seiner Absätze auf dem Pflaster den anderen folgte.
„Juden raus!“, hämmerte es in Friedels Kopf immerfort, als er in aller Hast seine Hose über den Schlafanzug zog, die Holzpantinen in die Hand nahm und leise die Stiege nach unten schlich.

„Das ist Wahnsinn, Arnold. Wahnsinn! Tu doch etwas!“, hörte Friedel seine Mutter rufen.
„Was soll ich denn da tun? Das sind doch nur Jungs, die ein bisschen Farbe an die Wände schmieren.“
„Hörst du das nicht? Sie werfen die Fensterscheiben ein. Das ist nicht harmlos!“, schrie sie.
„Sei leise, Marga! Der Junge wacht auf.“
„Lass ihn doch aufwachen. Soll er doch sehen und hören, was in diesem Land vor sich geht. Du willst es ja nicht. Die Fensterläden hast du geschlossen, damit du sagen kannst, du hättest von allem nichts gewusst. Ein elender Feigling bist du. Du bist nicht besser, als dieser Abschaum auf der Straße.“
Das letzte, was Friedel hörte, war die Ohrfeige, die Marga schluchzend zusammenbrechen ließ. Dann riss er seinen Mantel vom Haken im Flur und verschwand aus dem Haus.