der Freitag mit Rezension über Marianne Semnets Buch 'Ein Leben im Widerstand'
- Ein erschütternder Bericht über die Anfänge unserer Republik. -
Erst jetzt scheint die Zeit reif geworden zu sein für Berichte, wie
den der Widerständlerin Marianne Semnet. 1935 geboren, aus einem
sozialdemokratischen/kommunistischen Elternhaus kommend, richtete sich
Ihr Kampf schon als Schülerin gegen die Fortsetzung der Macht der noch
massenhaft vorhandenen Nazicliquen in der neu entstandenen
Bundesrepublik Deutschland. Dafür wurde sie in der Adenauer-Aufbau-Ära
18-jährig in der Strafanstalt Vechta für ein Jahr eingesperrt, und zwar
für angeblich staatsfeindliche Taten, die sie als 16-jährige begangen
haben sollte. Unglaublich aber wahr.
Das Buch ist eine bewegendes Beschreibung über eine Zeit, deren
Defizite verdrängt wurden, weil sie zu deutlich zeigten, dass die Mähr
von einem politischen Neuanfang nach der "deutscher Katastrophe" so nie
gestimmt hat. Unseren Historikern bleibt noch viel zu tun. Sie sollten
sich beeilen, denn Zeitzeugen wie Marianne Semnet, wird es bald nicht
mehr geben.
In ihrer einfachen und nüchternen Sprache erzählt Marianne Semnet
aus ihrem politisch so bewegten Leben, von ihren Großeltern, Eltern,
Onkeln und Tanten, die alle aktiv sich dem aufkommenden Faschismus nach
dem 1. Weltkrieg entgegenstemmten. Die in den Arbeiterparteien des
19./20. Jahrhunderts aktiv mitarbeiteten, um ein Dasein in
Gerechtigkeit und ohne Ausbeutung zu ermöglichen - aus einem
Widerstand, der den größten Teil der Opfer und des Blutzolls während
der Hitler-Diktatur getragen hatte und in den sie hineingeboren wurde.
Trotz der Dezimierung der fähigsten Köpfe "setzten die Überlebenden
große Hoffnung auf den politischen Neuanfang und den lang ersehnten
Sieg der Gerechtigkeit", schreibt sie, - Care-Pakete, wie sie helfende
US-Amerikaner der hungernden deutschen Bevölkerung zukommen ließen, gab
es aber für Widerstandsfamilien nicht.
Was hat nun unsere heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel - obwohl 19
Jahre jünger - mit dieser, unserer Geschichte und Marianne Semnet zu
tun. Nun, auch sie war in ihrer Jungend Mitglied der FDJ, der freien
deutschen Jugend, von der heute jeder meint, sie wäre allein eine
Erungenschaft der ehemaligen DDR gewesen und damit in das bekannte
Klischee-Kästchen zu sortieren. Erst jetzt wird langsam bekannt, und
dazu trägt auch ein Buch, wie das hier besprochene bei, die FDJ war
eine Gründung der internationalen Arbeiterparteien. Sie erfolgte
bereits 1936 in Paris und 1938 in Prag, 1939 in Großbritanien. Schon
bevor an eine DDR zu denken war, gab es Weltjugendfestspiele: 1947 in
Prag und 1949 in Budapest. Unter der damaligen Adenauer-CDU wäre also
Angela Merkel wahrscheinlich wie Marianne Semnet wegen ihrer
Mitgliedschaft und politischen Aktivitäten ebenso inhaftiert worden.
Marianne Semnet kämpfte als Jugendliche und junge Frau aktiv gegen
das barbarische Nazi-Regime und deren Nachfolger in der restaurativen
BRD. In dem Buch erzählt sie, mit welchen Schwierigkeiten sie und ihre
Familie es im Kampf für ein menschenwürdiges Leben zu tun hatten. Haft,
Folter, Tod! Die Familie Merkel ging 1957 mit der erst 2-jährigen
Tochter Angela in die DDR. Marianne Semnet, im Westen verbleibend,
befand sich schon bald in der Illegalität, denn in der jungen
CDU-geführten BRD wurde die FDJ verboten. Somit kam, was kommen musste,
Frau Semnet geriet in die Fänge der westlichen Staatsschutzorgane und
landete unter kaum noch nachvollziehbaren Gründen - es begann der kalte
Krieg - in den Gefängnissen von Lüneburg bis Vechta.
Es ist eine nahezu unbekannte Geschichte aus einem bewegenden Leben
jenseits des Alltags der meisten Menschen in unserem Lande, was hier so
spannend, fremd und neu aufgezeigt wird. Einmal angefangen, mag man das
Buch kaum noch aus der Hand legen.
Enttäuschend und voll bitterer Erfahrungen sind die Kapitel über die
spätere Zusammenarbeit mit den DDR-Genossen, die bald schon zum
endgültigen Bruch führten. Marianne Semnet und ihr Mann Erwin
engagierten sich danach in der westlichen Friedensbewegung, der DFU und
den Gewerkschaften. Aber vor allem setzte sie ihre ganze Kraft dafür
ein, in Osnabrück Nazi-Vergangenheit aufzuarbeiten. Sie machte den
ehemaligen Gestapo-Keller im Osnabrücker Schloß, wo Menschen gefoltert
und unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten wurden, bevor
sie in den Vernichtungslagern landeten, zu einer Gedenkstätte der
Stadt. Sie intensivierte die Zusammenarbeit mit Schulen, damit nicht
vergessen wird, was nicht vergessen werden darf. Ihr wurde 2007 dafür
die Bürgermedallie der Stadt Osnabrück verliehen.
Der Lebensbericht von Marianne Semnet gehört in jedes Haus, wo über
Unrecht und totalitäre Regieme noch diskutiert und nachgedacht wird.
Das Buch ist ein flammender Appell für eine menschenwürdige Welt.
Die Zeiten ändern sich. Werden sie etwa reif für ein politisches
Zusammenrücken der linken Parteien, was bisher unmöglich erschien?
Marianne Semnet, die überzeugte Kommunistin, die dann ihre politische
Heimat in der SPD fand, sie wurde in diesen Tagen von den SPD-Frauen im
niedersächsischen Landtag für ihren unerbittlichen Kampf für
Gerechtigkeit ausgezeichnet. Eine mutige Tat, wo auch heute noch gegen
alles, was mit einem Hauch von Kommunismus überzogen ist, erbarmungslos
und hämisch in den Medien abgestraft wird.
Marianne Semnet steht für eine Welt, die aufeinander zugeht, die
Rassismus und Hass auf Andersdenkende überwindet, die für eine
friedliche Koexistenz aller Menschen ist.
Marianne Semnet: Meilensteine - Ein Leben im Widerstand - Geest-Verlag Vechta-Langförden 2009 - ISBN 978-3-86685-184-9 € 12,50