In die lektorale Arbeit gegangen: Dieter Wöhrle - Balladen und Ballaststoffe - Gebrauchslyrik aus Berlin

 In Arbeit:

Dieter Wöhrle

Balladen und Ballaststoffe -

Gebrauchslyrik aus Berlin

Geest-Verlag 2011

 

Der Fiebertraum

Und als sein Weg ihn führte über eine Brücke,
er spürte Kopfschmerz, er war müde, fühlt´ sich krank.
Das Glatteis unterm Schuh war auch nicht ohne Tücke.
So nahm er Platz auf der vereisten, kalten Bank

und sah hinunter auf verwaiste S-Bahngleise.
Sie führten westwärts, seinen Blick ins Abendrot.
Doch fuhr kein Zug, und alles war so seltsam leise,
so seltsam friedlich. Oder war es leblos, tot?

Er schloss die Augen. Schon vom Bild blieb nur der Rahmen,
gefüllt mit Leben. Züge fuhren hin und her.
Er hörte Stimmen, die vom nahen Bahnhof kamen
und zeugten von Zufriedenheit im Nahverkehr.

Der Schienennahverkehr, er träumte, war verlässlich
zu jeder Jahreszeit, und das bei Tag und Nacht.
Die Menschen nutzten ihn und merkten bald, wie hässlich
dagegen ausnahm sich der Blechkarossen Macht.

Er wachte auf. Er fror und spürte Gliederschmerzen.
Die S-Bahngleise lagen immer noch verwaist.
Im Schneegestöber sahen Lichter aus wie Kerzen,
der Bahnhof in der Ferne eher wie ein Geist.

Berlin, 6.1.2011