Dieter Krenz - Punkt oder Komma?
Punkt oder Komma?
Im Januar dieses Jahres wurde in Quedlinburg der "Kongress zur Neuordnung der Interpunktion im deutschen Satz " unter Beteiligung aller namhaften deutscher Satzzeichen abgehalten.
Notwendig geworden wurde diese Zusammenkunft, weil es in den vorausgegangenen Monaten zu erbitterten verbalen Auseinandersetzungen in den Fachzeitschriften "Der Punkt", "Punkt und Komma" und "Vergessene Satzzeichen" gekommen war.
Ausgangspunkt jener teilweise unschönen Dispute, war - wie sollte es auch anders sein - der Streit um die Gewichtung und damit die Wichtigkeit der einzelnen Satzzeichen. Die Hauptwidersacher waren der Punkt und das Semikolon. Und jeder der beiden suchte natürlich möglichst viele Anhänger, sprich Satzzeichen, hinter sich zu scharen.
So begann der Kongress in der altehrwürdigen Stadt Quedlinburg, Lieblingsstadt Otto des Großen , wie die Auseinandersetzungen zuvor geendet hatten.
Das Semikolon, dessen engster Verbündeter, das Komma war, warf dem Punkt vor nicht länger in die Sprachlandschaft zu passen. Ja es ging noch weiter und holte mit dem Wort "Bastapolitik" wahrlich zu einem Rundumschlag-Wort aus.
Der Punkt aber - schon viel länger in leitender Position und von daher mit allen Tinten gewaschen - konterte mit einem Wort wahrlich unterhalb der Gürtellinie: "Das Semikolon ist ein Weichei".
Und ohne eine Atempause verstreichen zu lassen, begann er seine Schlagzeile ausführlichst zu erläutern: "Das Semikolon mag zwar dem Zeitgeist huldigen, doch vermag es sich einfach nicht zu entscheiden. Man stelle sich solch einen Zauderer als Entscheidungsträger vor. Unverantwortlich! Das Semikolon mag gerne auf dem Lande in der Disco das Tanzbein schwingen und mit seinem Opportunismus den Mädchen zu gefallen suchen, in eine leitende Position darf es niemals befördert werden".
Das hatte gesessen. Ein starker Auftritt des Punktes. Wer jedoch nun glaubte, dass das Semikolon klein beigegeben hätte, wurde eines besseren belehrt:
"Manche wissen einfach nicht, wann ihre Zeit gekommen ist - abzutreten. Wenn ich an all die Entscheidungen der letzten Zeit denke, die mit einem Punkt am Ende versehen wurden, ja - mit einem Schlusspunkt - und die dann doch wieder einer schlichten Überdenkungsphase zugeführt wurden, wird mir jetzt noch schlecht! Dann doch lieber gleich ein entschiedenes Vielleicht - Punkt, äh...Semikolon."
In diesem Moment gelang es dem Komma (im Rheinischen geboren) einen Kommentar loszulassen: "So ein Semikolon setzt sisch doch einfach schneller. Es kütt sozusagen wie es kütt."
Nun entstand ein verbales Durcheinander. Alle Zeichen schrien sich gegenseitig an. Und dieser Zustand dauerte einige Minuten an bis die Glocke des Kongresspräsidenten - des Gedankenstriches - durchdringend ertönte. Nach und nach beruhigten sich die erhitzten Gemüter und der Gedankenstrich hob an:
"Nachdem die Widersprüche sich bei diesem Kongress offensichtlich nicht lösen lassen, schlage ich vor den unterschiedlichen Auffassungen gedanklich Raum zu geben - bis zum Kongress im nächsten Jahr. Die Gewichtung der Satzzeichen ist ein so bedeutendes Problem, das sich nicht mit ein paar unqualifizierten Äußerungen lösen lässt. So schlage ich vor, dass beide Lager bis zum nächsten Jahr sich mit Sachverstand wappnen und ihre Hausaufgaben ohne Getöse erledigen. Der Kongress ist beendet. Ich wünsche allen Teilnehmern eine gute Heimreise. Die Reisekosten können nicht erstattet werden."
Mit diesen Worten erhob sich der Gedankenstrich und verließ das Podium.
Schon eine Weile vorher hatte sich das Komma aber in der Hotelbar ein ruhiges Plätzchen gesucht, nippte an einem Bier und murmelte:
"Man muss auch jönne könne."