Eberhard Erdmann rezensiert 'Mauerschatten' von Helga Bürster und Marianne Pumb in der Kirchenzeitung Mecklenburg-Vorpommern

Zwei Frauen – ein Gedanke
Ein etwas anderer Beitrag zum runden Datum

Eberhard Erdmann

(Die Rezension erschien in leicht gekürzter Form in der Kirchenzeitung Meckenbzurg-Vorpommern)

Nach fünfzig Jahren endet gemeinhin die historische Schamfrist. Das Ereignis – verklärt oder verteufelt – ist nun fast vollständig umgeben von der Aura der Geschichte. Einige der noch auskunftsfähigen Akteure bekräftigen ihre schon bekannte Sicht der Dinge in Memoiren. Archive öffnen ihre Magazine und bisher unbekannte Fakten legen teilweise Neubewertungen nahe. Eine Fülle verschiedenster Veröffentlichungen, mediale Präsenz auf allen Kanälen wälzen sich auf das magische Datum zu  –  13. August 1961 Bau der Berliner Mauer. Zwischen den vielen Bezeugungen zum Thema leuchtet eine kleine, aber feine literarische Perle. Sie umkreist nicht das Monstrum, nimmt es vielmehr als Ausgangspunkt für eine rasante Geschichte: Zwei Frauen, beide auf den Tag so alt wie diese Mauer, treffen in der gleichen Absicht aufeinander – Flucht davor, dieses Datum in dem alten Leben begehen zu müssen. Ihre Wege laufen aufeinander zu, ins Berliner „Adlon“ am Brandenburger Tor. Hilde, die Westfrau aus der norddeutschen Provinz, möchte sich zwei Tage „Luxus für mein noch verbleibendes Leben“ gönnen. Gunda, die Ostfrau aus Berlin, will sich an diesem Tag „etwas wirklich Gutes tun“, aber auch eine Geschichte zum Ende bringen, die sich im langen Schatten der Mauer ereignete, einem Schatten, den sie übrigens auf beiden Seiten warf. Was Hilde im Weiteren bewusst wird, je mehr sie mit Gunda in Berührung kommt.
Hinter den beiden Figuren stehen die Autorinnen Helga Bürster aus dem niedersächsischen Dötlingen und Marianne Pumb aus Berlin. Sie haben nur eins mit ihren Protagonistinnen gemeinsam – das Geburtsjahr. Bei der Buchpremiere am 5. August im Pankower Café Canapé gaben sie ihrer Erzählung Mauerschatten Gesicht und Stimme, ließen skurrile Situationen und kabarett-taugliche Dialoge aufblitzen, in denen die Figuren das tun, was Frauen einfach besser können – einander das Leben erzählen. Alles kommt auf den Tisch, gelegentlich auch darunter – große Liebe und fiese Enttäuschung, ideologische Verbohrtheit (nicht nur ostwärts der Mauer) und innere Freiheit, alte Last und neue Kraft. Am Ende gelingt es Gunda und Hilde, einen Standpunkt einzunehmen weit über dem Monstrum, wo die Lasten der Vergangenheit abgelegt werden können. Kein happy end. Aber  angesichts der Ansage, dass ihre Zeit um sei, hält Hilde dagegen: „Nein! Unsere Zeit fängt erst an!“ Das Publikum bekräftigte mit viel Applaus, was die Autorinnen zu Protokoll gaben, das Buch ende ‚befriedet’: 3 Geburtstage –  wir leben und die Mauer ist weg!                  
Mauerschatten                                                                                                                           
Helga Bürster, Marianne Pumb
Geest-Verlag  2011
ISBN 978-3-86685-302-7
142. S.         11  €