Ein Roman mit ergreifender Dramatik und Bildlichkeit: "Man bezahlte den Kuckuckseiern den Rückflug" von Nicoleta Craita Ten'o

Die Trägerin des Bremer Autorenstipendiums 2013, Nicoleta Craita Ten’o,
legt ihren Roman über die Migrationsgeschichte eines Romamädchens vor
"Man bezahlte den Kuckuckseiern den Rückflug"
Die stumme Bremer Autorin Nicoleta Craita Ten’o begeistert mit einer unfassbaren Sprachkraft und Bildlichkeit

Sie hat nie einen Sprachkurs besucht, die deutsche Sprache, wie auch eine Reihe anderer Sprachen über den Fernseher und die Lektüre gelernt. Seit einer psychischen Erkrankung spricht die Autorin nicht mehr. Im Gespräch notiert sie wichtige Fragen und Antworten für den Gesprächspartner. Verlagsleiter Alfred Büngen vom Geest-Verlag wird aber die Texte aus ihrem Roman demnächst bei Lesungen vortragen.

Um so bemerkenswerter ist es, welche poetische Sprachkraft, welche Bildlichkeit die Trägerin des diesjährigen Bremer Autorenstipendiums in ihrem Roman entwickelt. In 'Man bezahlte den Kuckuckseiern den Rückflug' erzählt die Autorin "beinahe lakonisch", so das Jury-Urteil zum Bremer Literaturstipendium, die Geschichte eines Romamädchens, das zusammen mit ihrem Vater in die Bundesrepblik kommt und unter dem Druck einer kurzfristigen Aufenthaltserlaubnis mit ihm zusammen versucht, sich durch Straßenmusik den Start für ein neues Leben in Rumänien zusammenzumusizieren. Das Mädchen, Magdalena, psychisch erkrankt, geprägt durch eine frühkindliche Vergewaltigung mit psychischen Folgeschäden, die sie für Jahre in rumänische Kliniken bringen, ist jedoch so fasziniert von der Stadt, in der sie bei ihrem entfernten Onkel Unterschlupf finden, dass sie bleiben will, auch wenn sie dafür eine Ehe eingehen muss.
Die Autorin lässt uns bei der Lektüre des Romans durch ihre Sprachkraft die uns umgebende Welt mit anderen Augen sehen. Zugleich gewährt sie und Einblicke in das Leben eines Romamädchens, die uns beinahe unfassbar erscheinen. Verbale und körperliche Gewalt umgeben sie fast ein ganzes Leben.
„Nerv nicht, Mädel, du verdammtes Weib!“, fluchte ihr Vater, ehe er auf dem Sofa Platz nahm. Sie schmiss sich vergnügt und verzaubert auf die Couch. Der große Flachbildschirm, den Onkel Gicu mit einem Knopfdruck in Gang setzte, trug eine hinreißende, surreal wirkende Märchenwelt in sich. Man sah sogar die Pickel der Schauspieler so groß und detailgenau wie in der Wirklichkeit. Magda flog um die Welt, berührte die Streifen am Himmelzelt, atmete Leben ein und aus.
Sie war glücklich. Der Nektar der Blumen floss aus den Fingern, sie musste sie bloß ablecken. Die Farben tänzelten in kaleidoskopischen Widerspiegelungen vor ihren Augen, sie musste nur hinschauen. Die Gesänge der Freiheit, der Geruch der Auferstehung füllten ihre Lunge. Die Zufuhr von Signalen, Stimulationen für das Gehirn, erfolgte unter der Freisetzung unzähliger Glückshormone. Der Neuanfang war eine Befreiung, das Ablegen von Schwere. Die Sonne schien hinter der Wand. Es drehte sich alles wir bei einer Achterbahnfahrt.

Nicoleta Craita Ten’o
Man bezahlte den Kuckuckseiern den Rückflug
Roman
Geest-Verlag 2013
ISBN 978-3-86685-447-5                                 
187 S., 11 Euro

Die Autorin
Nicoleta Craita Ten’o wurde 1983 in Galaţi, Rumänien, geboren. Bis 1996 besuchte sie in ihrer Heimatstadt die Schule, zog sich dann aber, im Alter von 13 Jahren, aus dem Leben zurück und beendete dadurch auch ihre Schullaufbahn. Schizophrenie und Autismus diagnostizierten die Ärzte. Im Jahr 2000 erschien ihr erster rumänisch-sprachiger Gedichtband ‚Durerea în durere piere‘.
2001 siedelte die Autorin mit ihrer Familie nach Deutschland über. Nach drei weiteren Buchpubli­kationen in Rumänien erschienen ab 2010 mehrere deutschsprachige Veröffentlichungen. Ihre Texte wurden zudem in Anthologien aufgenommen.
2012 gewann Nicoleta Craita Ten’o den ersten Preis bei einem Schreibwettbewerb des Freien Deut­schen Au­torenverbands Berlin. Für den vorliegenden Roman erhielt sie 2013 das Bremer Autoren­stipen­dium. Ende 2013 gewann sie zudem den Hauptpreis bei den Berner Bücherwochen.