Eva M. KITTELMANN, Wien, zu Cordula Scheels:Am Rande der Lichtung

R E Z E N S I O N

Cordula SCHEEL: „Am Rande der Lichtung“
Gedichte                                                                   Geest Verlag Vechta, 2011
                                                                                   ISBN 978-3-86685-303-4, € 10,--

Ich hatte den Vorzug, einzelne Texte aus diesem Buch schon vor Drucklegung kennenzulernen – einzelne! Aber bereits damals so eindrucksvoll, dass für den Gesamtband Bestes zu erwarten war.

Jetzt kommt das Buch ins Haus, und ich zögere ein wenig, „einzutreten“. Es scheint, dass der Einband in seiner streng-zierlichen Geometrie, ein wenig unlyrisch-naiv stilisiert, von daher unsinnlich und fremd wirkend, mich irgendwie aussperrt. Ja, ich rätsle sogar:
ist das der Verbotene, ist das ein verbietender Baum? Aber da entdecke ich das  in Rosengold leuchtende einzelne Herz-Blatt inmitten der Zweige, und fühle in der Betrachtung plötzlich alle die Wärme und Güte der Verse, die mich erwarten, ja die Dichterin selbst. Sie, die den Baum belebt, sie selbst Blüte und Zierde in dem grüngrauen Dickicht des Lebens.

Das gewiss hochinteressante Vorwort von Joachim Aljoschka KREBS darf meiner Spurensuche nicht vorgreifen, ich werde es als Nachwort lesen.
Die Einteilung in Kapitelabschnitte ist echte Orientierungshilfe auf den Wegen mit C. Scheel:
Mit ihr zusammen stürze ich zurück in die verlorene Kindheit, unter die weiße Marmorsonne Spaniens, wo die aus dem Norden Kommende sagen wird, sie sei „jung, weiß wenig…“ (17),
aber „sie folgt dem Wind, vertraut dem Raum“ (37), fremde Kultur saugt sie in sich auf, hin- und wiederkehrend, auch an Gräber, und findet „im Rhythmus ihrer Feste“, im „Klanghaus der Nacht“, ihre Richtung und auch „die Knoten im Geflecht der Jahre“ (22 f.)
Sie führt uns an Wässer und Ufer, zu alten Häusern, in Gärten und, ja, auf die gedankenschwer-verheißungsvolle Lichtung. Aber sie lässt sich unendlich Zeit: „Ankommen braucht seine Zeit…“ heißt es weise (25 f.), das hat sie so gelebt und bleibt dabei bis an ihre finis terrae am Atlantik. „Suchbilder“ treibt sie auf, in vielfältiger Einschau: „ein Kind mit Katze und Geige“ (33), oder „Klauensignaturen … wollige Wolkenschafe“ (55). „Durchsichtige Tage“ benennt sie ihre Zeit, durch ihre „Finger rinnt die Erde / rinnt das Wasser…“ (38). Sie bleibt mit den Stunden im Gespräch:
„Es mischen sich die Schatten und Zeiten / auf dem Weg zur Mündung / versinken die Steine bleiben / die Muscheln für die Möwen / auf der Sandbank im Meer“. Ein Text, auch auf dem Einband des Buches zu lesen, der dessen Gesamtheit wunderbar umreißt.

Ich treffe im Verlauf der Lektüre auf eine Fülle von Nachdenklichkeiten, auf verinnerlichte Weisheit, und viel Geduld; treffe auf behutsamsten Umgang mit dem Wort, das in jeder Konstellation ganz ein Scheel’sches wird – irgendwelche „Vorbilder“ sind da nirgends auszumachen, und das ist meisterlich! Diese Gedichte, die in Sprache, Duktus und Stil ihresgleichen suchen,  könnten als Lehrbeispiele gelten für zeitgenössische Lyriker (und vor allem solche, die es noch werden möchten…) Ich darf nicht verschweigen, dass ich hier Texte angetroffen habe, wahrlich „betroffen“ machende Gebilde, die auf mich wirkten wie ein Erzählen in Dämmerstunden irgendwo in einem Gärtchen oder in einer stillen Kammer.

Es ist müßig, im Rahmen dieser Darstellung weiter auf den Inhalt der Texte einzugehen. Ich sage nur: www.Geest-Verlag.de kontaktieren, bestellen – genießen!
Was die Lyrikerin C. Scheel uns hier als ihre geheimen Gedankenwelten offen, aber mit äußerster Delikatesse anvertraut, sie, die Beherrscherin der kargen Geste, der unabdingbaren Knappheit, der untergründigen Liebe zu allem Seienden, gerät zu einer Botschaft für jeden, der zu lesen versteht. Denn „ausgesetzt den Augen / schimmert der Abendstern“, und „als seien wir blind“, schließen wir am Ende die Augen – ergriffen vor lauter Schönheit (66).
Ihr größter Vorzug besteht vermutlich darin, nicht nur lyrische Impressionen oder gar Visionen auszubreiten, sondern in der Ver-Dichtung der Geheimnisse realen Lebens höchstmögliche Wahrhaftigkeit zu erwirken.

C. Scheels Dichterwort wird niemandem seine Wirkung versagen, ihre „Zeilen zittern nach“ (65). Freilich, Cordula Scheel geizt mit ihren Gedichten: schmal geriet dieses faszinierende Lyrikbuch, man möchte unbedingt mehr und weiter lesen… Aber, wer dürfte unbescheiden sein vor Texten, die sicherlich langem und tiefschürfendem Nach-Sinnen entstiegen sind?

Das Lese-Erlebnis „Am Rande der Lichtung“ ist vielleicht mit einem einzigen Wort zu umschreiben, welches C. Scheel selbst den ihr vertrauten Menschen gegenüber gerne anwendet: commovente, anrührend, bewegend.
Plötzlich verstehe ich auch den gewählten Bucheinband noch viel besser: Streng, aber ruhig und klar; ein Baum nur, aber sich in die Welt hinein verzweigend in schönstem Regelmaß;
ein Blätterdach, in dessen Innerem das Herz-Blatt glüht, und alles gut „bedacht“ im Doppelsinne dieses Wortes. Letztlich aber ein kongruentes Bild für diesen Rückzug in die dichterische Meditation, ins Stillewerden und Stillehalten:
„In blauen Stunden / besänftigt ihre Kerze / die Konturen“ (54).
Danke, Cordula Scheel!

                                Eva M. KITTELMANN, Wien