Geht in die Autorenkorrektur - Doris Egger: ... längst verschwunde Vögel
Doris Egger
... längst verschwunde Vögel
Kurprosa und Lyrik
Geest-Verlag 2012
Die Baseler Autorin Doris Egger legt 2010 mit ‚Ikarus – flieg nicht so’ ein be-sonderes Buchprojekt vor, das in Zusammenarbeit mit der Autorin, dem sie begleitenden Sozialarbeiter Patrick Bühler und dem Geest-Verlag zu einem Lese- und Mitwirkungsprojekt für Menschen mit und ohne Behinderung wurde. Verschiedenste Veranstaltungen, Workshops, Lesungen etc. ermunterten Men-schen mit und ohne Behinderung, ihre Gefühle selber aufzuschreiben, sie zu äußern und über sie zu sprechen.
Auch die Presse nahm das Projekt intensiv zur Kenntnis. So urteilte die Neue Zür-cher Zeitung: „Es sind keine Wolkenkratzer, die Egger erschafft, sondern zerbrechliche Porzellanpavillons. Viele ihrer Gedichte reagieren auf die widrigen Umstände, auf Isolation, Sprachnot oder Albdruck; allesamt sind sie von spröder Intensität." Und die Basler Zeitung urteilte in einem ganzseitigen Artikel: „Und liest ihre Gedanken, liest ihr Leben in diesen Worten und Sätzen, die so klar sind wie ein Bergbach, unverdorben und tief berührend.“
Ein solch erfolgreiches Projekt verlangt eine Fortsetzung. Mit ‚… längst verschwun-dene Vögel. Kurzprosa und Lyrik‘ wird nun ein Folgeprojekt vorgelegt, dass in der Intensität der Aussage das erste Projekt noch übersteigt.
Doris Egger ist in Basel wohnhaft, 45 Jahre alt. Bis kurz vor dem Abitur besuchte sie die Schule, kam dann in eine psychiatrische Klinik, in der sie mehrere Jahre ver-brachte. Danach arbeitete sie 20 Jahre an einem geschützten Arbeitsplatz im Büro, verbrachte zwischendurch immer wieder Zeiten in der Klinik. Heute arbeitet sie im künstlerischen Bereich. Neben dem Schreiben (Lyrik, Prosa und Theater) befasst sie sich intensiv mit der abstrakten Malerei.
Nicht zuletzt die Arbeit mit dem ersten Band der Autorin und die öffentliche Rezepti-on, das Erkennen, welche Bedeutung ihre Worte für Menschen mit und ohne Behinderung haben, intensivierte die sprachliche Arbeit der Autorin. Dabei macht sie zugleich deutlich, dass sie mit dem Schreiben einen Weg zu sich selbst gefun-den hat. Nicht zufällig ist daher in diesem Band erstmals auch eine größere Anzahl von Kurzprosa vertreten, die einen stark direkt reflektorischen Charakter hat. Auch für andere Menschen verdeutlicht sie etwa mit der Kurzprosa ‚Die Brücke‘, dass die Bedeutung des Schreibens nicht in der Erkenntnis des gesellschaftlichen Du besteht, vielmehr die Erkenntnismöglichkeit des eigen Seins beinhaltet.
Die Brücke
Ich erstellte eine Brücke, unter der in unermesslich-grenzenloser Tiefe Wasser mit lautem Getöse hindurchschoss, eingebettet in einer grimmig daliegenden Schlucht.
Ich befestigte mit Seidenfäden die Brücke auf meiner Seite und warf einen dünnen Spinnfaden auf die andere Seite der Schlucht, der an dem kalten, unwirtlichen Felsen haften blieb.
Ich schaute auf die andere Seite der Schlucht, spähte nach dem Du aus. Doch vergeblich. So sehr ich auch meine Augen anstrengte, ich sah nichts. Ich wusste ge-nau, die Brücke würde dich wohl kaum tragen, zu fein war sie gebaut. Doch ich gab meine Hoffnung nicht auf, stachelte mich weiter an zu warten.
Bis ich eines Tages merkte, dass ich eine Brücke zu meinem eigenen Ich gebaut hatte.
Doch bleibt das Schreiben zur Erkenntnis des eigens Ichs nicht adressatlos, damit letztlich sinnlos. Eine erste Antwort der Autorin lautet:
„und ich schreibe aus trotz
ihr könnt meine gedichte ignorieren
etwas wird trotzdem in euren köpfen hängenbleiben
wenn ihr sie einmal und wenn auch noch so flüchtig überflogen habt“