Geht in die Autorenkorrektur: Renate Blauth - Späte Spuren - Einen Vater hatte ich auch
Renate Blauth
Späte Spuren
Einen Vater hatte ich auch
Geest-Verlag 2013
ISBN 978-3-86685-414-7
Viel wurde über Krieg und Frieden schon geschrieben und man könnte meinen, alles sei schon tausendfach ausgesprochen. Doch mit einem anderen Blick auf die Dinge bekommt das Geschehen ein neues Gesicht und jedes Einzelschicksal seine ganz besondere Bedeutung.
Der Krieg hatte das erste Kapitel meines Kinderlebens ge-schrieben und war nicht ohne Folgen für meine Zukunft geblie-ben. Auch das Leben meiner Mutter hatte er nachhaltig geprägt, zudem hatte der Krieg meinen Vater auf dem Gewissen. Er war Soldat gewesen und blieb verschollen – bis heute.
Nun war es höchste Zeit, die Fragen zu stellen, die mir noch immer schwer auf der Seele lagen, sie duldeten keinen Auf-schub mehr. Kaum jemand lebte noch, der die Antworten kannte. Die Menschen, die mir nahe gewesen waren, hatten sie stillschweigend mit ins Grab genommen. Doch Vorwürfe lagen nicht in meiner Absicht, zum Teil hatte ich es mir auch selbst zuzuschreiben. Viele Gelegenheiten hatte ich ungenutzt verstreichen lassen: „Jetzt nicht, heute nicht“, so schob ich es vor mir her, und dann war es zu spät. Erst als ich es erkannte, wurde mir bewusst, was ich versäumt hatte.
Nun waren die Dinge in Gefahr, für immer verloren zu gehen. Unbedingt wollte ich sie aufhalten, weil sie ein Teil meines Lebens sind. Ich wollte das Buch meiner Kindheit aufschlagen und die leeren Seiten darin ausfüllen, die Geschichten, die darin fehlen, gibt es seit langer Zeit, das Leben hat sie längst voll-endet.
Die meisten unbeschriebenen Blätter haben mit meinem Vater zu tun, er kam in meinem Leben nur sehr selten vor, nur für Schriftstücke durfte er hin und wieder seinen Namen hergeben. Nichts von ihm war greifbar für mich.
Ich war ein Kriegskind mit Halbwaisenrente, allein mit meiner Mutter. Auch in ihrem Leben hatte es einige Jahre gegeben, über die ich kaum etwas wusste. Während des Krieges hatte sie im Dienst der Luftwaffe gestanden, später wollte sie darüber nicht mehr viel reden. Mein Vater war ebenfalls bei der Luftwaf-fe gewesen, er gehörte zu den unzähligen Soldaten des Zweiten Weltkrieges, die geopfert wurden für eine Sache, die nichts taugte und Menschenleben sinnlos verschwendete. Bis heute steht er als Vermisster in den langen Listen. Irgendwann wurde er für tot erklärt und das vermutete Todesdatum für meine Wai-senrente festgehalten. Das war alles von ihm!
Er blieb ein Unbekannter für mich, weil meine Mutter es vermied, ihn in unsere Nähe zu rücken –und ich nahm es einfach hin. Lange habe ich jetzt darüber nachgedacht, auch über die Gründe für das Schweigen meiner Mutter.
Überhaupt drückten die meisten Menschen sich vor dem Thema Krieg, sie waren sich ziemlich einig, dass man ihn so schnell wie möglich vergessen sollte, so als hätte es ihn nie gegeben. Oft büßten die gefallenen Väter viel zu schnell ihren Platz ein, sie kamen in ihren Familien nur noch selten vor und wir Kinder wagten nicht, unbefangen nach ihnen zu fragen. In Wirklichkeit fehlten unsere Väter uns sehr, vielleicht mehr noch als unseren Müttern.