Heike Avsar: Die ollen Ausländer (Literatur in schwierigen Zeiten)




Ein Samstag in Berlin Charlottenburg: Die Sonne hat die Menschen ins Freie gelockt.

Gemächlichen Schrittes bummelt man durch die Einkaufsstraße. Jung und Alt

genießen das kleine Stück wiedergewonnener, trügerischer Freiheit mit Abstand und

Mundschutz, der meist griffbereit um die Handgelenke liegt.

Hier und da spielen Straßenmusiker – umgeben von einem dankbar applaudierenden

Publikum. Münzen werden in die aufgeklappten Instrumentenkoffer geworfen.

Hinter mir gehen Mutter und Sohn, Gesprächsfetzen dringen zu mir.

Wir passieren ein Straßencafé, zwei Tische mit Stühlen vor dem Café.

Am ersten Tisch vier Männer - längst im Rentenalter -, Kaffee trinkend und sich

lachend in ihrer Muttersprache (kroatisch oder serbisch) unterhaltend.

Am zweiten drei ältere, deutsche Damen, genüsslich aus ihren

Eisbechern löffelnd.

Ein friedlicher, glücklich machender Anblick – ein wunderschöner Tag, denke

ich gerade.

Da höre ich die ältere Dame hinter mir laut und empört zu ihrem Sohn sagen:

„Nun guck dir das an! Das kann ja wohl nicht wahr sein! Da besetzen die ollen Ausländer

hier alle Plätze!“

Wut steigt in mir auf. Ich bleibe stehen, drehe mich zu ihnen um und sage: „Die ollen

Ausländer haben genau das gleiche Recht, vor einem Café in der

Sonne zu sitzen, Kaffee zu trinken und den schönen Tag zu genießen, wie die ollen

Deutschen. Es ist ja unglaublich, was Sie da von sich geben! Sie haben in den

vergangenen Monaten anscheinend nichts dazugelernt.

Anstatt dankbar zu sein, dass sie gesund geblieben sind, sind Sie so voller Hass.

Das ist ja wirklich das allerletzte. Sie sollten sich schämen!“

Es wurde zur Seite geschaut, zu feige, eine Antwort zu geben.

Und wieder einmal frage ich mich: wann hört es endlich auf, Menschen mit zweierlei

Maß zu messen.