Jacek T. Zielinski - Ein Sommer voller Engel (im Lektorat)


 


 

Jacek T. Zielinski

Ein Sommer voller Engel

Mit Grafiken des Autors

Geest-Verlag 2024

 

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Bommel, von Bekannten auch Betreuer oder Vater genannt, arbeitete in seinem ganzen Leben nicht länger als zwei Wochen. Er mochte es nicht. Er meinte, die Arbeit mache ihn krank. Das Einzige, was er tat, war Gedichte zu schreiben und sich mit Freunden zu treffen, weil, wie er es meinte, das seine Nerven beruhige und ihm Kraft gäbe, die nächsten Tage mit gewissem Komfort zu überleben. Dadurch bekam er nämlich ein Gefühl, was Wichtiges getan zu haben oder überhaupt irgendetwas Sinnvolles in seinem Leben, und zwar ohne Schuldgefühle.
In seinen jungen Jahren, als Sanitätshelfer, sitzend in einem Krankenwagen, jagte er ungefähr 21 Tage lang im Monat den Geburten und Unfällen entgegen oder transportierte die Kranken von zu Hause ins Krankenhaus, seltener umgekehrt. Danach fühlte er sich ausgesaugt oder, wie er das meinte, schwer traumatisiert. Unmenschliche Arbeitszeiten und die Zahl der zu transportierenden Kilogramm gaben ihm den Rest und weckten bei ihm früher nicht gekannte, psychosomatische Symptome. Einzig logische Lösung dieses Problems lag für ihn darin, sich um jeden Preis den Auswirkungen jeder beruflichen Tätigkeit zur Wehr zu setzen.
Der Hausarzt erkannte eindeutig eine Abwehrreaktion auf die Stresssituationen. Er hat ihm geraten, mit dem Rauchen aufzuhören, Kamillentee zu trinken und sich zusammenzureißen. Nach solcher Konfrontation mit der Realität entschloss sich Bommel, endlich ein echter Mann zu werden. Ab sofort hatte ihn der Staat und seine Mutter zu unterhalten.
In dem Land, wo er wohnte, noch vor der großen Transformation (also dem Übergang vom Kommunismus zu dem freien Fall in die freie Marktwirtschaft), als die Arbeit noch zu den Pflichten gehörte, war Bommel gezwungen, der all-mächtigen Volksmiliz jedes Mal, wenn er auf der Straße angehalten wurde, zu beweisen, dass er doch arbeitete. Er war also so was wie „verfolgt“. Nach der Transformation, als die Arbeit schon knapp wurde, aber man moralisch „gezwungen war“, das Geld für irgendetwas zu spenden, wie zum Beispiel für den Bau neuer Kirchen, fühlte er sich verfolgt. Kurz gesprochen, ob er es wollte oder nicht, war er eine Art Held. Schließlich meisterte er, erpresst oder nicht, immer neu auftretende Problemsituationen, und zwar seit mehr als zwanzig Jahren.
Phlegma, sein Freund und auch Dichter, nannte es: „Die Karriere.“
Der Gerechte, sein anderer Freund und nebenbei Justizbeamter: „Soziale Deviation“. Bommel traktierte es pragmatisch.
„Mich bringt gar nichts um. Wie ihr seht. Ich habe den Kommunismus überlebt, also überlebe ich auch den christlichen Kapitalismus. Das Leben ist wunderbar. Nur, warum ist es heute immer noch so heiß draußen?!…“, fragte er sich selbst stehend auf dem Balkon seiner Plattenbauwohnung, pinkelnd aus dem neunten Stock in die Dunkelheit.
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Jacek T. Zielinski