Jenny Schon - 8. Mai 1945

Jenny Schon




8. Mai 1945


Millionen tot
glocken läuten
die überlebenden
feiern

opa verschleppt
ins KZ
oma und tante
als tschechische
zwangsbäuerin
kinder hungern

mutti vergewaltigt
erschlagene
auf den straßen
blut spritzt
 bis an unsere wände

N
auf der armbinde
stigmatisiert
huscht mutti
zur arbeit ins
postamt

das kind weint
tschechische soldaten
beschlagnahmen
die wohnung
ab ins lager

wanzen fallen
von der decke
drahtgestelle
quietschen
elendes metall
rostet vom schweiß
alte männer husten




waggons
stehen bereit
vollgepfropft
mit frauen
und kindern
weg mit euch
deutsches pack


Millionen
werden folgen
die geschichtsschreibung
nennt das
transfer


















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N – Nemec = Deutscher, mussten die Deutschen in Tschechien analog der Juden-Binde am Arm tragen.
Im Juni 1945 folgend setzten die sogenannten Wilden Vertreibungen ein, um das tschechische Staatsgebiet von Deutschen bzw. Deutschsprechenden (es traf auch zurückgekehrte deutsche Juden) zu
säubern. Erst im August 1945 bei den Potsdamer Verträgen wurden die nach Staatspräsident Benesch genannten Dekrete zur Vertreibung der Deutschen beschlossen. 1945 waren bereits nahezu 1 Million Deutsche
ermordet oder vertrieben worden. Ab 1.1.1946 folgte der Transfer genannte geregelte Abschub. Insgesamt waren in Tschechien dreieinhalb Millionen Deutsche betroffen. In Polen und anderen Ländern sah es ähnlich aus.
Für all diese Menschen war der 8. Mai 1945 keine Befreiung.