Jenny Schon - Die Moldau. Zum Kafka-Jahr.

Jenny Schon

Die Moldau. Zum Kafka-Jahr.

Franz Kafka, am 3. Juli 1883 in Prag, Österreich-Ungarn geboren, und am 3. Juni 1924 in Kierling, Österreich, gestorben, liegt in Prag begraben.

Zeit seines Lebens schwamm Franz Kafka gerne, er schreibt darüber in seinem „Brief an den Vater“.
Er war nicht nur ein begeisterter Schwimmer, sondern auch Ruderer. Kafka trieb Sport, was man ihm nicht ansah.
Er besuchte die Zivilschwimmschule, eine mobile Badeanstalt an den Ufern der Moldau in Prag. Diese Schwimmschule war eines der Sommerbäder, die er gerne aufsuchte. Früher ging er oft mit seinem Vater dorthin, später besuchte er die Anstalt alleine oder mit Freunden. Die Zivilschwimmschule bestand aus einem Hauptgebäude und einer jedes Jahr zur Badesaison aus Holzplanken aufgebauten Badeanstalt. Letztere war in ein Schwimmer- und ein Nichtschwimmerbecken aufgeteilt. Sein Ruderboot nannte er “Seelentränker”, das in der Nähe der Schwimmschule seinen Anlegeplatz hatte.
Die Moldau war ein wichtiger Teil seines Lebens. Kafka war auch mehrmals an der Ostsee in Kur, wo er 1923 in Müritz Dora Diamant, seine letzte aus Berlin stammende Gefährtin, kennen lernte.

Jedenfalls ist die Moldau ein wichtiger Fluß, nicht nur für Franz Kafka, sondern auch für die tschechische Seele. Kafka sprach zwar auch tschechisch, aber meistens deutsch und er dichtete auch auf Deutsch. Zu Kafkas Zeit war die Mehrheitsbevölkerung in Prag bereits tschechischer Herkunft.
Hebräisch lernte er erst später, obwohl sich der Wohnort seiner Familie im Grenzbereich zwischen Altstadt und Ghetto befand, als dieses noch existierte.

Bedřich Smetana (* 2. März 1824 als Friedrich Smetana in Litomyšl; † 12. Mai 1884 in Prag) war ein tschechischer Komponist. Sein bekanntestes Werk ist Die Moldau (Vltava) aus dem sinfonischen Zyklus Mein Vaterland (Má vlast). Das Werk wurde 4. April 1875 in Prag uraufgeführt und wurde sehr populär, bis heute, so dass es auch bei den Kinderfestspielen in Salzburg umgewandelt aufgeführt wurde.

https://www.kinderfestspiele.com/wp-content/uploads/2019/05/Moldau-Lied-...

Es hat mich mal eine Tschechin gefragt, ob ich nicht auch fände, dass es heißen müsste, die Elbe fließt bei Mělník in die Moldau, die immerhin 430 km lang ist, während die Elbe in Tschechien nur 370 km misst, dann flösse nämlich die Moldau in die Nordsee. Ich antwortete, dass seit Menschengedenken und offensichtlich schon seit der keltischen Zeit der Bojer, die Böhmen den Namen gaben, es so sei, dass die Elbe in die Nordsee flösse.

 

 


Die hier abgebildete Karte ist eine sehr beliebte Karte, die sich in der Strahov-Bibliothek in Prag befindet, einer der großartigsten Bibliotheken, die ich je gesehen habe, aus dem 16. Jahrhundert mit dem Titel Europa prima pars terrae in forma virginis (Die Karte Europas in Form einer Jungfrau). Sie entstammt Heinrich Büntings Reiseführer Itinerarium Sacrae Scripturae.
Auf dieser damals weit verbreiteten Darstellung ist normalerweise die "Jungfrau Europa" – wegen der bereits üblichen Nordung der Karten – in der Waagerechten zu sehen. Europa wird in dieser Allegorie begrenzt vom Oceanus Germanicus, der Nordsee, dem Oceanus Sarmaticus, der Ostsee und dem Mare Mediterraneum genannten Mittelmeer.
Interessant ist vor allem das Zentrum des Kontinents. Das Herz des Kontinents schlägt nämlich in Böhmen. Von Prag führt ein Fluss geradewegs zur Nordsee. Es ist der Albis f., die Elbe, die Verbindung Böhmens mit dem Meer. Und auch dies ist ein Topos, den schon Shakespeare verwendet: Böhmen am Meer, und Jahrhunderte später die Dichterin Ingeborg Bachmann.

In dem großen Orchesterwerk namens „Mein Vaterland“ von
Smetana wird die Entwicklung der Moldau musikalisch umgesetzt. Die Moldau entspringt aus zwei Quellflüssen: der
warmen Moldau im Böhmerwald und der kalten
Moldau im Bayerischen Wald. Die warme Quelle wird von Flöten und die kalte Quelle von Klarinetten intoniert. In den Melodien hört man deutlich das Plätschern, Sprudeln und Murmeln
der beiden Quellen, wenn sie sich vereinen, erklingt die
berühmte Moldaumelodie, die immer wieder eingebaut wird.
Auch eine Bauernhochzeit wird musikalisch umgesetzt und die Streicher und Holzbläser spielen zum Tanz eine böhmische
Polka. Beim nächtlichen Mondschein tanzen die Nymphen ihren Reigen zu Harfenklängen. Dann aber wird die Musik lauter und stürmischer. Das ganze Orchester mit allen Blechbläsern, allen Streichern, allen Holzbläsern und dem wilden Schlagzeug spielt die Musik zu den reißenden Stromschnellen, und ich werde an den Film „African Queen“ erinnert, wo Stromschnellen auch tödlich sein können.
Dann wird der Ton gedämpfter, die Moldau fließt in voller Breite und ganz langsam durch Prag an der Burg Vyšehrad vorbei, wo sicherlich der Bub Franz Kafka Steinchen in die Moldau warf und den Kringeln nachsah.
Das Motiv der Steine in der Moldau nimmt Jahrzehnte später Bertolt Brecht auf, wenn er dichtet:
“Am Grunde der Moldau wandern die Steine
Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.
Es wechseln die Zeiten.”
Das Lied wurde vertont von Hanns Eisler und durch die Interpretation bedeutender Sänger/innen wie Gisela May und Wolf Biermann weltberühmt.

Nach dem Durchfluss in Prag entschwindet tonal jetzt die Moldau in der Ferne in die Elbe.
Schon in den 1860er Jahren entstand entlang der beiden Flüsse eine Eisenbahnlinie, die teilweise 1866 Theodor Fontane bereits benutze, der ja gern reiste. Und diese Strecke von Prag über Dresden, Berlin ans Meer hat auch Franz Kafka benutzt, er liebte das Meer, und er liebte Berlin.
Er zog 1923 hierher an den Fichtenberg, um mit seiner Lebensgefährtin Dora Diamant zu leben. Leider verhinderte eine tödliche Lungenkrankheit seine Pläne. Er starb am 3. Juni 1924 in einem Sanatorium in der Nähe von Wien, Dora Diamant war an seiner Seite. Er ist begraben auf dem jüdischen Friedhof in Prag. Ich hab ihm nach jüdischer Sitte ein Steinchen aufs Grab gelegt, aber auch eins in die Moldau geworfen…