Jenny Schon: Portugal, Gedichte zum 10. Juni

Der 10. Juni ist "Dia de Portugal, de Camões e das Comunidades Portuguesas", Tag von Portugal, Camões und den portugiesischen Gemeinschaften.

Eine ehemalige Weltmacht, die den Todestag des Dichters Luís de Camões zum Nationalfeiertag macht! (Während der Salazardiktatur wurde er zum "Tag der portugiesischen Rasse" umgedeutet.)

Wann gibt es bei uns einen Goethe, Schiller, Kleist…Brecht, Else Lasker-Schüler-Tag?

 

 

 

 

Jenny Schon

 

Portugal

15.8.1978

 

Über die Brücke

Von Ayamonte

Die fluten des

Guadiana

Durchstreifend

Naht der Westen

Algarve

Arabische Gründung

Auf europäischer Erde

 

 

 

Albufeira

17.8.1978

 

Trauer

Über die

Vergangene

Zärtlichkeit

Der Zitronen

Und Orangen

Felsen Albufeiras

Dem Sturm der

Zivilisation

Zum Fraß

Kämpfen die alten

Fischerboote

Verlassen

Für ihre Welt

 

 

 

Algarve

18.8.1978

 

Felsenumschlungene

Brandung

Meer des Westens

Atlantik

Deine sanfte Berührung

Liebkost meine Brüste

Deine Sonne

Behaucht meine Stirn

Gedanken des Winters

Verflogen

 

 

La Gruta

20.8.1978

 

Anstürmend

Gegen die Furchen des Windes

Den Salzstaub der Meerwüste

Zerteilend

Erahne ich die Tiefe der Felsen

Dunkelheit

Nur das Licht auf deiner Stirn

Verrät die verlassene Zeit

 

 

 

 

São Raphael

22.8.1978

 

Fernab

Von den Gesängen

Der Diskotek

Albufeira ahnend

Entzückt

Von den Kristallen

Der Brandung

Liege ich

Grottengeborgen

Dir hingegeben

Traum von

Weite und Meer

 

 

 

Saloma

23.8.1978

 

Der weite

Sandstrand

Zum Land hin

Steilfelsen

Ockergrenze

Einsam die Fischerboote

 

 

 

 

 

Meer

28.8.1978

 

Fern

Die Schiffe

Unendlich

Weite

Manchmal nur

Die Stille

Dröhnend

Dann donnert

Unendlich

Ewig das Meer

 

 

Gestein

28.8.1978

 

An den

Felswänden

Schroff

 Gestein

Schiefer und Granit

Die Bussarde

Stürzen herab

Auf der Suche

Nach Futter

Fernab die Zivilisation

 

 

Flut

29.8.1978

 

Ungeahnte

Weite

Tosende Brandung

Im Strudel

Der Gezeiten

Nimmst du

Deine Geheimnisse

Mit

Nur manchmal schaue

Ich

In dein aufgerissenes

Maul

Voller Ahnung

Deiner Macht

 

 

 

 

 

 

Abend

29.8.1978

 

Die Sonne

Steht hoch

Noch

Im Zenit

Am Horizont

Fernab die Schiffe

Weiße Strudel

Ergreifen

Das Licht

Ein Ahnen der

Dämmerung

 

 

 

 

Abschied [i]

30.8.1978

 

In den Eukalyptuswäldern

Der Sierra der Monchique

Habe ich gesessen

Und um dich getrauert

Kleine Algarve

Fern am Horizont

Der Atlantik

Dessen Blau

Sich mit dem

Himmel verwebt

Endlose Trauer

In den Wellen

Meines Bluts

Adios bis bald

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Feuersbrunst[ii]

Für Stefan, den Vagabund

 

Auch dort ein Geliebter

Wir hatten auf den

Steinen gesessen

und einen Joint geraucht

Die Steine wuchsen

von Wolkenkratzern schauten

wir auf die brausenden

Wasser der 5th Avenue

bis die Flut kam

und uns einschloß

 

Über uns tobende

Pinienhaine

funkengichtende Strudel

in der Luft

die Algarve schrie

komm, tobe ich, komm,

Feuer verschlinge mich

flammende Walze

in mir Geliebter

ein Orgasmus für das

Jenseits

Der Wald brennt

wir werden begraben

die Liebe stirbt nie

 

Unser Zelt stand

in Flammen

unser Auto verkokelt

und am Abend

tranken wir

Vino Verde im Dorf

die Feuerwehrleute

hatten uns eingeladen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Lisboa

31.8.1978

 

Freiheitsstatue

Im doppelten Sinn

Anfang von Versklavung

Der Welt und

Befreiung von Unterdrückung

Und Faschismus

 

Liebliche du

Nimm mich

In deinen Zauber

 

 

 

Alfama

31.8.1978

 

Gewirr von

Gassen

Freunde meines

Bluts

Das Volk ganz

Nahe

Alltag ist

Revolution

 

 

 

Korkeichenwälder

31.8.1978

 

Korkeichen überall

Umfriedet das

Land

Das Korn geerntet

Fern die Bäche

Wo Reis gedeiht

Manchmal ein

Hauch China

Asien

Und doch so nah

 

Die Revolution

In Frage

Der Fortschritt

Gebrochen

Wie die

Stauseen im Winter

 




aus: Jenny Schon, fussvolk, Geest Verlag, 2012

 

 

 

[i] Die Nelkenrevolution in Portugal war zwar zu dieser Zeit bereits vorbei, hatte jedoch in der Linken einen positiven Nachklang. Klaus Hartung (ehemals auch in meinem Politischen Buch Umfeld) zitiert in einer Rezension (Tagesspiegel Berlin, 27.8.12) zu Tilman Fichters und Siegward Lönnendonkers (ehemals SDS) Buch Dutschkes Deutschland den Spruch:  Portugal hat mit uns mehr zu tun als die DDR.  Darüber war in großen Teilen der Linken Konsenz, auch bei mir. Die DDR war einfach total unattraktiv für die meisten, Atlantikküste gegen märkischen Sand!

[ii]  In der Bucht Praia de Beliche am südwestlichsten Zipfel Europas in der Nähe von Cabo de São Vicente lernte ich Tramper aus Deutschland kennen, die dort zelteten. Damals war diese Ecke noch fast ohne ausländische Touristen. Die Einheimischen hatten immerhin eine Dusche installiert, so dass es Trinkwasser gab und man das Salzwasser abwaschen konnte. Das Auto hatte ich weiter oben auf einem kleinen Parkplatz stehen lassen, man musste zum Strand zu Fuß hinuntersteigen. Der Weg war von Kiefern und Krüppelholz gesäumt.

Stefan aus Bremen hatte mir einen Joint angeboten, ich war recht unerfahren. Eigentlich trank ich lieber einen Vinho Verde. Wir saßen auf den Klippen, bereits vom Atlantik umspült. Wir fühlten uns Amerika sehr nahe, wähnten uns auf Hochhäusern in der Fifth Avenue, wir zogen uns in sein Zelt zurück. Mir war schwindelig… Fauchen, gichtendes Spucken um uns, explodierendes Knallen über uns, schweißtriefend krochen wir aus dem kleinen Zelt, schnappten nach Luft, schluckten Sand, so trocken staubig war es. Die Sonne bellte uns an und blendete. Die Bucht war im Rauch nur noch zu ahnen. Eine Feuerwalze rollte den Berg herunter. Mein Auto! schrie ich. Wir waren eingeschlossen. Auch die Einheimischen, die in der Bucht badeten, waren eingeschlossen. Die Feuerwehr kämpfte sich zu uns durch. Wir waren nicht gefährdet, weil die Bucht groß genug war. Aber einige Zelte am Hang, die Schutz vor der Sonne unter dem Krüppelholz gesucht hatten. Auch Stefans Zelt. Wir zogen es vom Hang zum Strand. Ob mein Auto die Feuerattacke überstehen würde? Das erfuhr ich erst am Abend, als die Feuerwehr die Brandherde an dem Weg und um den Parkplatz gelöscht hatte. Bis dahin aber die Angst darum, und ob ich wieder heil nach Hause kommen würde. Unsere Autos hatten von der Hitze Lackschäden, an manchen Stellen krisselte er sich wie Streuselkuchen. Das aber war mir wurscht. Ich hatte überlebt. Das ganze Dorf feierte an diesem Abend sein Überleben.