Jenny Schon - Zum 40. Todestag von Ulrike Meinhof
Ulrike
Zum 40. Todestag am 9. Mai 1976
ich kannte dies
hier stehe ich
ich kann nicht anders
ich hatte Michael Kohlhaas
gelesen und war ein lutherisches
arbeiterkind mein erstes
interview in Westberlin wohin
ich geworben sieht mich als
journalistin das wort ist die
waffe aber noch wälzte ich zahlen
beim steuerberater
unterstützte die reichen
den staat zu bescheißen dann
wechselte ich zu den lettern im
buchhandel schrieb machte
eine eigene zeitschrift und
ging auf die abendschule
in all diesen jahren warst du
mir begleiterin mit deinen
messerscharfen kommentaren
es gab wenig frauen mit
geist die meisten machten
die beine breit und wurden
mutter das war nicht hoch im
kurs weil auch sie im nazireich
gehorchten und die pille noch
den wenigsten freiheit vom
gebärzwang brachte
ich aber wollte nach oben
dann standest du mit
deinen zwillingen in unserer
WG-tür und redetest von Bambule
von denen die ganz unten
den revolutionären kampf
führen würden notfalls
mit der Kalaschnikow
als ihr von Ostberlin aus
bei den Palästinensern
euch übtet lernte ich
chinesische zeichen entziffern
bei Mao meine route ging
nicht über Moskau ich
hatte einreiseverbot in die
DDR weil ich auf der
seite von Peking war
der Deutsche Herbst
war eine jahreszeit
in der ich längst bei
Heinrich von Kleist
in Kohlhasenbrück
mich in Klassik übte
und überlebte…
Ulrike Meinhof, 7. Oktober 1934 in Oldenburg; † 9. Mai 1976 Stuttgart, Journalistin, Kolumne bei „Konkret“, Bambule, Fernsehspiel, 1970; Regie Eberhard Itzenplitz, Drehbuch Ulrike Meinhof. RAF-Gründerin.
Foto: Jenny Schon bei der Trauerfeier für Che Guevara 1967,
s.a. Jenny Schon, fussvolk, Gedichte, Geest Verlag, 2012,
Jenny Schon, 1967 Wespenzeit, Roman, dahlemer verlagsanstalt, 2015.