Jenny Schon - Zum Antikriegstag am 1. September

Der Artikel ist erscheinen im Roseneck Magazin September 2023


Jenny Schon

Zum Antikriegstag am 1. September
und
Zum Internationalen Tag des Friedens der UNO am 21. September

Auf den Spuren von Friedensliedern und Protestliedern




Ich bin in den Kriegstrümmern von Köln und Bonn aufgewachsen. Mein Vater war Schieferdachdecker, im Rheinland wird viel mit Schiefer gedeckt. Er hatte viel zu tun. Ich hab ihm auf den Dächern das warme Mittagessen im Henkelmann gebracht.
Ich war auf einer evangelischen Volksschule, wo viele Flüchtlingskinder waren. Neben mir saß Ilona, ein Mädchen aus Ostpreußen. Eines Tages kam sie nicht mehr. Man erzählte sich, sie sei in einem Heim, weil ihre Mutter sich mit Gas umgebracht hat, als die Nachricht kam, dass ihr Mann nicht bei den Kriegsgefangenen ist, die der Bundeskanzler in Moskau frei handeln konnte.
In meiner vierten Klasse waren Zwillinge, Jürgen und Frank, aus der DDR geflohen, in Jürgen hatte ich mich verliebt. Eines Tages hieß es, beim Spielen in einem Trümmergrundstück sei ihm von einer Kriegsbombe eine Hand weggerissen worden. Ich sah ihn nie wieder, sein Vater war Gymnasiallehrer in Köln, und ab der fünften Klasse gingen die Kinder aus den besseren Familien, wie es damals hieß, aufs Gymnasium.
Mein böhmischer Opa war Bahn-Invalide der Tschechischen Eisenbahn und musste nicht in den Krieg. Nach der Vertreibung baute er in Bonn in der Nähe der Hardthöhe ein Haus. Dort war ich mit ihm im Wald in den Pfifferlingen und Blaubeeren. Dann wurde auf einmal der Wald abgeholzt, ein Kriegsministerium gebaut. Wir demonstrierten, mit vielen, die keine Wiederbewaffnung wollten. Ich bin in diesem pazifistischen Umfeld meines geliebten Opas groß geworden. Mein Patenonkel ist im Krieg geblieben, seine Mutter, weil sie so viel weinte, bekam das Zittern, hieß es, ich hatte Angst vor ihr, weil ihr Kopf wackelte und man ihr nicht in die Augen schauen konnte.
Mein Vater wollte nicht, dass ich nach dem Mauerbau 1961 nach WestBerlin gehe, wegen der Russen, da hatte er panische Angst vor, obwohl er in Pilsen in amerikanische Kriegsgefangenschaft geriet. Aber die Männer redeten in der Wirtschaft ständig über die Schrecknisse von Stalingrad, das hörte ich, wenn ich ihn sonntags vom Frühschoppen abholte. Sie hatten alle den mehrteiligen Kriegs-Film „08/15“ gesehen, 1954 gedreht, in dem die später berühmten Schauspieler noch ganz jung sind: Joachim Fuchsberger, Mario Adorf, Helen Vita, Hans-Christian Blech…Der Film zeigt, wie kurz vor dem 2. Weltkrieg in einer Artillerie-Kaserne sich die Soldaten aus verschiedenen, auch ehrgeizigen Gründen gegenseitig zerfleischen, bis sie dann in Krieg ziehen.
Das sind meine Kriegserinnerungen, mit denen ich am 30. Dezember 1961 am Bahnhof Zoo ankomme, um hier zu arbeiten, in Wilmersdorf ein möbliertes Zimmer miete und immer wieder durch die vielen Trümmergrundstücke und die Bedrohung aus dem Osten an den Krieg erinnert wurde.
Als dann die Studenten gegen den Vietnamkrieg demonstrieren, ist es für mich selbstverständlich, dass ich auch demonstriere, obwohl ich keine Studentin bin und nicht immer mitmarschieren kann, weil ich feste Arbeitszeiten habe. In dieser Zeit lerne ich die Friedens- und Antikriegslieder kennen.
Natürlich sangen wir „Sag mir, wo die Blumen sind, wo sind sie geblieben“, das Lied hatte Marlene Dietrich weltberühmt gemacht. Ergreifend ihr Auftritt, bei youtube zu sehen, für die UNICEF GALA 1962. Pete Seeger hatte 1955/56 den englischen Text geschrieben und vertont. Max Colpet schuf 1962 die deutsche Fassung. Pete Seeger ist einer der der größten Aktivisten der amerikanischen Friedensbewegung. Auch „We shall overcome“ (Bearbeitung) ist von ihm, das besonders die Menschen um Martin Luther King sangen, schön von Joan Baez intoniert.
Auch das berühme Lied „Blowin’ in the Wind“ von Bob Dylan gehört in diese Zeit, das durch die Version von Peter, Paul & Mary 1963 in die Hitlisten kam. Zu dieser Zeit war die Kuba-Krise und die Bürgerrechtsbewegung auf dem Höhepunkt. Die deutsche Version unter dem Titel Die Antwort weiß ganz allein der Wind sang 1964 Marlene Dietrich.
Aber auch in Deutschland entwickelte sich eine Protestlied-Kultur in deutscher Sprache.
Ein weltberühmtes Lied ist das von Lale Andersen gesungene Lili Marleen, das schon im Ersten Weltkrieg seine Vorläufer hatte, dann aber ab 1939 den Zweiten Weltkrieg durchgängig in den Soldatensendern, besonders von dem deutschbesetzten Soldatensender Belgrad, gespielt wurde. „Vor der Kaserne, vor dem großen Tor, steht eine Laterne…“
Da Lale Andersen Kontakte zu Schweizer Juden hatte, wurde es zeitweilig in Deutschland verboten, auch weil es zu morbid und depressiv für die Nazis war. Es wurde auch in England und USA gesungen, u.a. von Marlene Dietrich, die Soldatin der US Armee war.
Das ist das „Revolutionäre“ an diesem Lied, dass es das Schicksalslied aller Soldaten wurde. Das ist keinem anderen Lied gelungen, so die feindlichen Truppen zu vereinen. Obwohl es auch in den Nachkriegszeiten
in anderen Ländern und Kriegen gesungen wurde, heute hört man es nicht.
Ein weiteres berühmtes Lied, das sich mit Krieg beschäftigt, ist „Maikäfer, flieg, dein Vater ist im Krieg“.  Es wird bereits im ersten Band der Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn, die 1806/08 von Achim von Arnim und Clemens Brentano erstellt wurde, aufgeführt. Es wird besonders im Ersten Weltkrieg gesungen. Aber auch wir Kinder der fünfziger Jahre sangen es. Laut Bazon Brock trägt es „allumfänglich die historische Erfahrung der Menschen in Deutschland in sich“.
Ein besonders schönes Lied ist „Zogen einst fünf wilde Schwäne“, das im letzten Jahr des Ersten Weltkrieges veröffentlicht und in den Zwanziger Jahren auch von der „Jugendbewegung“ gesungen wurde. Die Nazis nahmen es aus ihrem Repertoire. In der Friedensbewegung der siebziger Jahre wurde es wieder populär besonders durch den wunderbaren Gesang von Hannes Wader, der auch andere deutsche Volkslieder mit seinem ihm eigenen Timbre präsentiert.
Besonders eindringlich ist das Lied „Es ist an der Zeit“. Die von Hannes Wader getextete und gesungene Version basiert auf Eric Bogles „No Man’s Land“, das auch unter den Titeln „The Green Fields of France“ und „Willie McBride“ bekannt ist. Es spielt am Grab eines jungen Mannes, der im Ersten Weltkrieg gefallen ist.
Diese eindringliche Strophe wiederholt sich viermal.
„Ja auch dich haben sie schon genauso belogen, so wie sie es mit uns
Heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben,
Deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.“

Es gibt auch eine Version zu Hannes Waders 80. Geburtstag, sie wird von den drei großen Säulen der nachkriegswestdeutschen Liedermachergeneration gesungen, von dem etwas jüngeren Konstantin Wecker, Hannes Wader und Reinhard Mey, beide mein Jahrgang: 1942.
Zum Abschluss möchte ich auf das eindringliche Lied unseres Berliner Liedermachers Reinhard Mey, der in Wilmersdorf geboren wurde, hinweisen: „Nein, meine Söhne geb ich nicht“.
Er lernte 1966 beim Festival Chanson Folklore International auf der Burg Waldeck Hannes Wader kennen, sie tourten teilweise gemeinsam durch Deutschland.
1986 schrieb er dieses kämpferische Lied „Nein, meine Söhne geb’ ich nicht.“ Unter den zwölf tiefsinnigen Strophen diese:
„Ich werde sie den Ungehorsam lehren
Den Widerstand und die Unbeugsamkeit
Gegen jeden Befehl aufzubegehren
Und nicht zu buckeln vor der Obrigkeit!“

2020 entstand zu Gunsten des Friedensdorf International mit mehreren Künstlern eine Neuaufnahme seines von 1986 stammenden Liedes „Nein, meine Söhne geb’ ich nicht“. Diese Version sollte man sich bei Youtube anschauen.
Der Verein Friedensdorf International wurde am 6. Juli 1967 von Oberhausener Bürgern anlässlich des Sechs-Tage-Kriegs gegründet und nahm als Bürgerinitiative Aktion Friedensdorf e. V. seine Arbeit auf. Ziel war es, den unschuldigsten Opfern der Kriege und Krisen schnelle, unbürokratische Hilfe zu leisten. Die Arbeit konzentrierte sich nach Ende des Sechs-Tage-Krieges auf die Opfer des Vietnamkrieges. Im Jahr 2001 wurde die Friedensdorf Stiftung ins Leben gerufen, aus deren Zinserlösen seither Hilfsprojekte in Krisengebieten finanziell unterstützt werden.
Die Friedensbewegung in unserem Land ist still geworden, aber es gibt sie noch.
Make love not War lautete der Slogan von Yoko Ono und John Lennon 1969 während ihres Bed-in als Protest gegen den Vietnamkrieg. In Amsterdam feierten sie ihre Hochzeit im Bett. Ist wunderbar auf Youtube zu sehen. Das Bed-in wiederholten sie im Juni 1969 in Montreal. Dort schrieb John Lennon den weltberühmten Song „Give Peace a Chance“. Damit könnte man ja schon mal anfangen.

heute
Für Bertha von Suttner – Pazifistin – zum 180. Geburtstag
 (9. Juni 1843 in Prag; † 21. Juni 1914 in Wien)

Greta von 1905
Hieß Bertha
Die Waffen nieder
War ihre Parole
Sie kämpfte unermüdlich
Für Frieden…
Sie bekam als erste Frau
Den Nobelpreis

Heute kann nur Frieden sein
Wenn Menschen Wasser
Zum Trinken haben
Für ihre Felder
Wenn Menschen nicht
Fliehen müssen vor dem
Salzwasser der Meere

Die Waffe heute
Heißt Land
Bewohnbares Land
Fruchtbares Land

Die Waffe heute
Heißt Luft
Saubere Luft
Zum Atmen

Die Waffe heute
Hat einen einzigen
Namen: Mensch
Im Guten wie im Schlechten

Die Waffe heute
Bist du
Entschärfe sie
Sei sorgsam



Aus: Jenny Schon, Fragen bleiben, Gedichte, Geest Ve