Jenny Schon, zur Erinnerung an Else Lsker-Schüler, gestorben am 22. Januar 1945

Jenny Schon – Die Spaziergängerin von Berlin,
                         Geest Verlag,  2023/24

Helles Schlafen - dunkles Wachen…
Else Lasker-Schüler (1869 – 1945)

Else Lasker-Schüler wohnte in den Gründungsjahren des Luna-Parks in Halensee, sie muß die Feuerwerke gesehen und die Musik gehört haben, wenn sie von der Katharinenstraße in Richtung Gedächtniskirche ging oder fuhr, zu ihrer Zeit war die Straßenbahn schon elektrifiziert, wenigstens der Lärm und Gestank der Dampfstraßenbahn war nicht mehr.
Als ich Anfang der 1960er ein Buch in die Hand nahm in dem Antiquariat am Kudamm, wo ich arbeitete, fiel mir sofort der Titel auf: Helles Schlafen – dunkles Wachen. Ein Antagonismus. Ich dichtete auch seit meinem 12. Lebensjahr und war begierig auf ausgefallene Sprachbilder.
Else Lasker-Schüler – noch nie gehört. In der Grundschule nicht, auf der Berufsschule für Buchhandel, die damals in der Joachim-Friedrich-Straße in Halensee war (um die Ecke, wo Else Lasker-Schüler von 1909-1911 wohnte), nicht, auf dem Abendgymnasium nicht, das ich nach Abschluss meiner Lehre besuchte.
Aber ich konnte mit ihr punkten, dass ich sie kannte, jüdische Schriftstellerin, durch die Bücherverbrennung der Nazis aus unserem kollektiven Gedächtnis gelöscht, jetzt langsam wie die anderen Expressionisten wieder entdeckt.
Ich konnte ihre Freunde streicheln. Denn wir hatten auch ihre expressionistischen Freunde in unserer Galerie: Franz Marc, den sie „Mein lieber blauer Reiter“, oder „Ruben“ nennt. Wir hatten einige signierte Tierholzschnitte von ihm, die damals noch erschwinglich waren, so dass ich mir auch einen kaufte und lange liebkosen durfte, bis ich ihn, als ich in eine chaotische WG der Studentenbewegung einzog, wieder (aus Sorge um ihn) verkaufte, ohne finanziellen Gewinn.
Oder „Der Sturm“, die expressionistische Zeitschrift schlechthin, von Elses Mann Herwarth Walden seit 1910 herausgegeben, der in Wirklichkeit Georg Levin hieß, den sie aber wie fast alle umtaufte und der unter ihrem Fantasienamen berühmt wurde.
Im „Sturm“ veröffentlichte Else auch die „Briefe nach Norwegen“, wohin ihr Mann gefahren war, seine Schwester, dort verheiratet, zu besuchen. Die Briefe werden im Cafe des Westens, wo Else quasi ihre Schreibstube hatte, nicht nur von ihr geschrieben, sondern auch von den anderen neugierig beäugt und – kaum erschienen - im Sturm erobert.
Da sie immer in Geldnot war, ging sie wahrscheinlich zu Fuß zu ihren Arbeitsplatz ins Cafe, am östlichen Ende des Kudamms. Den Kudamm rauf und den Kudamm runter, der damals 4,5 Kilometer lang war, die heutige Budapester Straße war damals auch noch Kudamm.
Else und Herwarth wohnten in der Katharinenstraße 5, ein Neubaugebiet damals, Gartenhaus, Parterre. Als Walden aus Norwegen zurückgekehrt war,  gab er die Gemeinsamkeit auf. Er hatte eine Schwedin mitgebracht und Else nahm es einfach nicht zur Kenntnis und schrieb weiter im Cafe des Westens, als wär Walden noch bei den Seinen in Norwegen.
Liebe Jungens! schreibt sie. Ich habe vor, regierender Prinz zu werden. Müßten mir nicht alle Menschen Tribut zahlen? Sie nennt sich Prinz von Theben, Jussuf.
Walden heiratet seine blonde Schwedin Nell Roslund, die Wohnung in der Katharinenstraße wird aufgelöst. Else Lasker-Schüler, die einen in der Malerei begabten Sohn Paul hatte, niemand weiß bis heute, wer der Vater ist, wird danach nur noch in Provisorien leben.
Ich werde Jahrzehnte später für 15 Jahre ihre Nachbarin in der Katharinenstraße. Ich hatte die Wohnung ausgesucht, um in ihrer Nähe, dem genius loci, zu sein.
Else Lasker-Schüler, am 11.2.1869 Elberfeld geboren; ihr Vater, der Bankier Aaron Schüler wird die Hauptfigur für ihr Schauspiel Die Wupper, 1909 veröffentlicht, aber erst nach dem 1. Weltkrieg  im Deutschen Theater Berlin, 1919,  uraufgeführt.
1894 Heirat mit dem Arzt Dr. Joanthan Berthold Lasker, Umzug nach Berlin, 1899 Geburt ihres Sohnes Paul, dessen Tod, 1927, sie in eine große Krise stürzt. 1903 Scheidung, Heirat mit Georg Lewin (Herwath Walden), dem Herausgeber der expressionistischen Zeitschrift „Der Sturm“, 1912 Scheidung von Walden.
1902 erscheint ihr erster Gedichtband Styx. 1906, nach dem Tod des Schriftstellers Peter Hille, das erste Prosawerk Das Peter-Hille-Buch,    1907 die Prosasammlung Die Nächte der Tino von Bagdad. Mit dem Gedichtband Meine Wunder, 1911, wird sie die führende deutsche Expressionistin.
Ihre kreativste Zeit ist vor dem 1. Weltkrieg. Intensive Freundschaften  mit Karl Kraus, Peter Hille, Gottfried Benn, Franz Marc. Zunehmend wird auch das zeichnerische Werk von Else Lasker-Schüler gewürdigt, so 2011 im Hamburger Bahnhof Berlin die im Sturm veröffentlichten Zeichnungen.
1933, nach tätlichen Angriffen und angesichts der Bedrohung ihres Lebens, emigrierte sie nach Zürich, 1934 und 1937 machte sie zwei Reisen nach Palästina, ihrem bedichteten Hebräerland. 1939 reiste sie zum dritten Mal nach Palästina. Der Kriegsausbruch hinderte sie an einer Rückkehr in die Schweiz. Zudem hatten ihr die Schweizer Behörden das Rückreisevisum verweigert.
Nach einem Herzanfall starb Else Lasker-Schüler am 22. Januar 1945. Sie wurde auf dem Ölberg in Jerusalem begraben.

Eins ihr liebsten Gedichte:
Weltende
Es ist ein Weinen in der Welt,
Als ob der liebe Gott gestorben wär,
Und der bleierne Schatten, der niederfällt,
Lastet grabesschwer.