Kladower Treffpunkte 2019/2020 - Ein Literaturabend mit Jenny Schon
Kladower Treffpunkte 2019/2020
Ein Literaturabend mit Jenny Schon
Die Literaturveranstaltungen im Kladower Forum in 2019 schlossen mit dem Literaturabend der Schriftstellerin und Lyrikerin Jenny Schon ab.. Sie stellte ihr neuestes Buch "Flüchtige " vor.
Wenn Jennny Schon zu einer Lesung einlädt, dann gibt es erst einmal einen Exkurs zu der Geschichte der jungen Bundesrepublik Deutschland . Sie erinnert an bedeutende politische Begebenheiten, die bei der heutigen Generation oft schon vergessen sind. Es war das Jahr 1955, als der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer durch Verhandlungen mit den Russen - er sprach aber immer von den Sowjets, wobei sein Kölner Dialekt das Wort Sowjets eigenartig betonte-- die letzten deutschen Soldaten 10 Jahre nach Kriegsende aus der russischen Gefangenschaft nach Hause holte. Dabei flossen Tränen der Freude aber auch der Trauer, wenn unter den Heimkehrern nicht der Mann, Vater , Bruder oder Sohn war.
Ihr Buch Flüchtige hat biografischen Charakter, weil sie darin ihre Erlebnisse und Erfahrungen in den Jahren nach dem Mauerbau wiedergibt. So erzählt sie , wie sie als junge Studentin an der FU aufgrund ihres westdeutschen Reisepasses gebeten wurde, für Ostberliner Bürger Westartikel zu besorgen, weil diese vor dem Mauerbau in Westberlin gearbeitet hatten und deshalb dort ein Bankkonto mit DM besaßen. Für Bundesbürger mit dem Pass der Bundesrepublik Deutschland war der Besuch in Ostberlin jederzeit möglich.
So wie Jenny Schon politische und gesellschaftliche Strömungen sowohl wie von rechts als auch von links in der Gegenwart beobachtet und in ihren Erzählungen verarbeitet, so ist sie auch an den Ursprüngen ihrer Familiengeschichte interessiert. Deshalb unternahm sie als junge Studentin eine Reise in die Tschechoslowakei, wo in dem deutsch geprägten Gebiet ihre Großeltern mütterlicherseits gelebt hatten. Sie stand also vor dem Wohnhaus ihrer Vorfahren, als sie von dem neuen Hausbesitzer begrüßt wurde. Es war Vaclav Havel, der spätere Staatspräsident der Tschechoslowakei. Er lud sie sogleich zu einem Diskussionsabend mit gleichgesinnten Freunden in seinem Haus ein. Sie sollte über ihre Studien der Sinologie, also der Chinakunde sprechen, wobei das chinesische Wort Wu die Bedeutung Nichts hat. In der chinesischen Philosophie kommt das Leben aus dem Nichts und es endet auch in dem Nichts, also aus und in dem Wu.
Wie gesagt, Jenny Schon ist gesellschaftspolitisch sehr geprägt und erhebt deshalb als Postulat die Bildungsmöglichkeit gleichberechtigt für alle Gesellschaftsschichten. Sie beklagt, dass es immer noch Benachteiligungen bei Bildungs- und Berufschancen für junge Menschen gibt, die aus sozial schwachen Familien kommen.
Es war wieder ein interessanter Abend mit der Autorin Jenny Schon, die wir hoffentlich 2020 zu einem Literaturabend im Kladower Forum begrüßen können.
Erika Pledt