A. Kleier - Mut zur Selbsthilfe

Für Deutschland war es das Sommermärchen 2006. Im Land herrschte eine ausgelassene und fröhliche Stimmung. Alle warteten mit Spannung auf das Eröffnungsspiel der National-elf und verabredeten sich zum gemeinsamen Fußball-Schauen. Ich saß voller Angst allein zu Hause. Es war der 09.06.2006.
Aber ich muss vier Wochen früher anfangen.
Am 11.05.2006 fuhr ich mit Mama zum HNO-Arzt nach Lohne. Seit Wochen ging es ihr nicht gut. Ihre Stimme wurde immer heiserer und sie war immer müde. Sie schlief, sobald sie von der Arbeit nach Hause kam. Wir fuhren also zum HNO-Arzt. Nach der Untersuchung war sofort klar, dass es keine Kleinigkeit war. Ein paar Tage später wurde eine Biopsie gemacht. Jetzt hatten wir die Gewissheit: Es war Kehlkopfkrebs und sofortiges Handeln war nötig. In Vechta gab es zu der Zeit noch keine HNO-Station. Mama wurde ins Klinikum Bremen-Mitte überwiesen.
Für eine OP war Mama zu dünn. Sie wog zu der Zeit noch um die 40 kg. 45 kg brauchte sie für die OP. Sie bekam einen Luftröhrenschnitt, um besser atmen zu können, und eine PEG, um schneller zuzunehmen.
Ich habe Mama jeden Morgen schon früh im Krankenhaus besucht. Papa fuhr nachmittags nach der Arbeit zu ihr. Drei Wochen später konnte Mama operiert werden. Mamas Ärztin in Bremen war toll. Am Abend vor der OP versprach sie mir, früh ins Bett zu gehen, um morgen frisch und ausgeschlafen Mama operieren zu können.
Es war Deutschlands Sommermärchen. Es war der 09.06.2006. An einige Dinge kann ich mich kaum noch erinnern, andere werde ich nie vergessen. Ich hatte in meinem Leben noch nie so eine Angst. Es war, als ob mir die Luft zum Atmen fehlte. Dann wieder eine völlige Leere, wie ein Schleier vor dem eigenen Leben. Es läuft vorbei und ich habe funktioniert. Jeden Tag aufs Neue. Vor Mama habe ich immer versucht, stark zu sein. In mir sah es oft anders aus.
Hoffnung haben mir Hubert Wehming und seine liebe Frau gegeben. Meine Tante hat den Kontakt hergestellt. Er hat damals die Selbsthilfegruppe der Kehlkopflosen in Vechta geleitet. Papa und ich haben ihn besucht und das erste Mal gesehen, dass ein normales Leben weiter möglich ist. Ich bin den beiden so unendlich dankbar für dieses offene Gespräch.
Danach konnte ich auch Mama wieder Hoffnung geben. Ich habe ihr von Hubert erzählt. Wie gut es ihm geht. Dass er alles allein machen kann und ein aktives Leben führt. Ich habe ihr gesagt, dass sie sogar wieder Tennis spielen kann. Sie hat mir geglaubt, und in diesem Mo-ment konnte ich spüren, wie sie selbst neue Hoffnung und Zuversicht schöpfte. Sie stellte sich der Situation.
Mama spielt heute noch Tennis.
Sie kämpfte sich Schritt für Schritt ins Leben zurück, und was sie seitdem alles auf die Beine gestellt und erreicht hat, macht mich stolz, ihre Tochter zu sein.

Alexandra Kleier