Maria Buchtijarova - Ein Regenbogen ohne Braun

Maria Buchtijarova
Ein Regenbogen ohne Braun

Alternative für Deutschland …. Einfache und klare Forderungen: Sanktionen gegen Moskau aufheben, Nord Stream 2 starten, Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen, Migranten ausweisen. Sie sympathisieren ganz offen mit Putin. Sie bezeichnen ihn als Hüter von Traditionen und geistigen Werten, ohne zu sagen, dass es Putins invasive Politik ist, die Millionen von Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan und der Ukraine in ihr Land gebracht hat. Ihre Ansichten finden sich in den Herzen vieler Menschen, vor allem junger Menschen. Unter ihren Anhängern sind auch viele Spätaussiedler aus Russland. Viele von ihnen glauben, dass Putin verteufelt wird und Russland ein schönes, blühendes Land ist, in dem verschiedene Völker glücklich leben. Meine Geschichte ist eine kleine Episode im Leben der Menschen in diesem Land.
Anfang der 2000er-Jahre. Meine Mutter besuchte ihre Freundin in der russischen Hauptstadt Moskau. Sie hatte genug davon, durch Museen, Ausstellungen und Theater zu laufen, und beschloss, nach Zarizyno zu fahren, einem berühmten Anwesen. Am Bahnhof von Kursk stieg sie in einen Vorortzug ein. Es war Samstag, und es waren viele Leute im Zug. Plötzlich stürmte an einem der Bahnhöfe eine Gruppe Jugendlicher im Alter von etwa 16-17 Jahren in den Zug. Ihre Gesichter waren mit schwarzen Armbinden bedeckt. Schnell füllten sie die Gänge des Zuges. Die Menschen im Zug waren sofort still, ein leises Flüstern ging durch den Waggon: „Skinheads, Skinheads.“ Einer der Jugendlichen befahl lautstark: „Schwarze, steht schnell auf!“ Langsam und bedrohlich erhoben sich die Menschen mit orientalischem und asiatischem Aussehen von ihren Sitzen. Die Jugendlichen trieben sie zur Eile, indem sie riefen: „Hey, Schmalauge, kannst du mich nicht hören, steh auf!“ Die Jugendlichen zogen Flaschen aus ihren Taschen und begannen sie denjenigen, die aufgestanden waren, an den Kopf zu werfen.
Die Mutter erstarrte vor Entsetzen. Alles geschah in Sekundenschnelle. Kurze Schreie, das Klirren von Glas, das Stöhnen von Menschen, Blut, und Jugendliche sprangen aus dem Zug. Die Verwundeten machten sich auf den Weg zur Toilette, um sich das Blut abzuwaschen. Und meine Mutter sah einen Mann, der ein etwa 3-jähriges Kind mit einer gespaltenen Augenbraue auf dem Arm trug. Das Blut floss in die Augen des Kindes, und er versuchte immer wieder, es wegzuwischen, indem er es mit der Hand auf seinem Gesicht verschmierte. Die Mutter schaute sich um. Der Zug war voll von erwachsenen jungen Männern. Keiner von ihnen versuchte, die Teenager aufzuhalten.
Mama stieg an der nächsten Station aus und bestieg den Zug nach Moskau, ein Ausflug kam nicht infrage, die Fahrt war zu beängstigend. Auf dem Rückweg war die Situation genau dieselbe. Sobald meine Mutter die Jugendlichen in den Vorraum eintreten sah, umarmte sie sofort die zierliche Asiatin, die neben ihr saß, drückte sie an sich und bedeckte ihren Kopf mit dem Kragen ihres Mantels. Sie flüsterte ihr ins Ohr: „Sitz-Sitz-Sitz.“ Als die Teenager hereinkamen, zischte Mama sie an: „Ruhig! Ich habe hier ein Baby mit Fieber. Es ist gerade eingenickt! Raus mit euch!“ Eine andere alte Dame bat leise: „Ihr Jungs, geht weg.“ Und das war’s. Alle anderen Fahrgäste schauten aufmerksam auf die Landschaft vor den Fenstern und taten so, als ginge sie das, was da passierte, nichts an. Die Teenager stapften auf der Stelle und stiegen aus. Mama nahm ihrer Begleiterin den Kragen aus dem Gesicht und sagte leise zu ihr: „Keine Angst, jetzt ist alles vorbei.”
Die Frau, die ihr gegenübersaß, sagte zu Mutter: „Du hattest natürlich recht, das Mädchen zu verstecken, aber man kann die Jungs verstehen. Das ist nicht mehr Moskau, das ist wie Tschurkistan. Alles Gelbe und Schwarze. Sollen sie doch nach Hause gehen, die haben hier nichts zu suchen. Unsere Jungs geben ihnen ein bisschen Hirn.“
Meine Mutter sah sie an und antwortete: „Eure Jungs verprügeln wehrlose Menschen, sie schlagen einem Kind eine Flasche auf den Kopf.“
„Was? Wirklich? Einem Kind den Kopf eingeschlagen? Einem russischen Kind?“
Die Mutter erstarrte und konnte erst eine Minute später antworten: „Nein, kein Russe. Kein russisches Baby. Nur ein Kind.“
Die Frau seufzte erleichtert und starrte aus dem Fenster.
Deutschland … Vielleicht sollte ich diese Zeilen nicht schreiben. Ich gehöre zu den Hunderttausenden von Menschen, die hier Schutz gefunden haben. Ich bin eine von Millionen, die abgeschoben werden könnten. Deutschland … Ein Land, das sich mutig seiner Geschichte stellt. Ein Land, das sich nicht vor der Verantwortung für seine Vergangenheit drückt. Ihr seid stark, mutig, blühend, ihr steht auf dem Fundament von Freiheit und Demokratie. Ihr dürft nicht zulassen, dass der Nazismus wieder auflebt. Handeln Sie jetzt. Wenn die erste Flasche auf den Kopf eines Kindes fliegt, wird es zu spät sein.