Marianne Semnet - ein Leben im Widerstand - eine politische Biografie

In die Endphase der lektoralen Arbeit gegangen, ist die politische
Biographie der Osnabrückerin Marianne Semnet, die für ihrengagiertes
politisches Handeln 2007 mit der Bürgermedaille der Stadt Osnabrück
aufgezeichnet wurd.

Das Buch mit dem Arbeitstitel: Meilensteine - Ein Leben im Widerstand wird im Mai 2008 seine Buchpremiere erleben.

Hier ein kleiner erster Leseauszug:

Die Holzkiste    

Seit einiger Zeit war meine Mutter unruhig, wort¬karg und nervös. Auf ihren Wangen zeichneten sich rote Flecken ab und das bedeutete niemals etwas Gutes. Vor einigen Tagen hatte sie Besuch bekom¬men – ein Kurier aus der Widerstandsbewegung. Schon längst hätte er wieder bei uns eintreffen sol¬len. Meiner Mutter wurde das Warten fast uner¬träglich, und ihre Flecken auf den Wangen blieben konstant dort sitzen.
Zu jener Zeit hatten meine Eltern im Katthagen in Alfeld eine kleine Zweizimmerwohnung. Mit dem Vermieter waren meine Eltern freundschaftlich verbunden.  Sie lebten dort mit uns vier Kindern – ich war mit drei Jahren die Jüngste, zudem gab es meine beiden Brüder und meine zwei Jahre ältere Schwester.
Die Wohnung bestand aus einer Wohnküche und. einem Schlafzimmer. In der Wohnküche stand in der, Nähe unseres Küchenherdes  eine Holzkiste. In dieser Holzkiste waren in der Regel Anmachholz, dickere Holzstücke, Briketts sowie Panier gelagert.
Seit der Kurier da war. hatte es mit dieser Holzkiste etwas ganz Besonderes auf sich. Holz, Kohle und alles andere war ausquartiert und stattdessen Flug¬blätter, die der Kurier gebracht hatte, dort einge¬lagert worden. Obenauf kamen zur Tarnung unsere Puppensachen.

Das illegale Material sollte schon längst wieder abgeholt worden sein, aber der Kurier kam nicht wieder. Unsere Mutter hatte meiner Schwester und mir eindringlich erklärt, dass wir im Falle einer Haus¬durchsuchung durch die Gestapo – sie nannte sie die „schwarzen Männer“ – und Gewaltan¬wendung durch die „schwarzen Männer“ uns wie Kletten an diese klammern und fürchterlich schreien sollten.
Meine Schwester und ich hatten lange Zöpfe und des Öfteren kamen wir draußen beim Spielen im Grünen mit diesen Schrecken erregenden Kletten in Berührung, und manchmal half nur die Schere, um diese Monster aus unseren Haaren zu entfernen. Jetzt sollten wir nun eine solche Art von Monster sein und erwachsene Männer erschrecken.
Und tatsächlich der Tag kam.
Es war an einem Abend, kurz vor Eintreten der Dunkelheit, als es bei uns an der Wohnungstür klopfte. Die Gestapo verschaffte sich Zutritt. Sie warfen rücksichtslos alles durcheinander und kamen der Holzkiste, auf der wir uns postiert hatten, immer näher. Meine Schwester und ich schrien fürchterlich – und in der Tat hatten wir Angst um unsere Puppen. Unsere über alles ge¬liebten Puppen sollten nicht der Zer¬störung anheim fallen, und uns dafür einzusetzen war uns jedes Mittel recht. Ich kann mich nicht entsinnen, dass wir wirklich von Angst in dieser Situation gepackt waren. Meine Mutter erzählte später sehr oft, dass wir in dieser Situation ge¬kämpft hätten wie kleine Löwen.
Als es ganz brenzlig wurde und wir mit Gewalt von der Kiste gezogen wurden, klammerten wir uns an die Beine der Gestapomänner. Just in diesem Moment rannte meine Mutter ins Treppenhaus und schrie fürchterlich durchdringend: „Hilfe! Hilfe!“ und „Feuer, Feuer, Feuer!“ Ich glaube, sie schrie so laut, dass es der ganze Katthagen hörte. Die Ge¬stapo ließ wie auf Kommando von uns ab und verschwand in Windeseile aus der Wohnung und dem Haus.
Meine Mutter war die Tochter eines bekannten Sozialdemokraten, der als  Senator weit über die Grenzen unserer Kleinstadt Alfeld hinaus bekannt war. Diese Tatsache hat uns wohl an diesen Abend gerettet sowie das Faktum, dass der Terror gegen  bekannte Nazigegner noch geheim gehalten werden sollte. Zudem wohnten im Katthagen ausschließlich Arbeiter, die bereits mit meinen Eltern schon vor 1933 gegen die Nationalsozialisten, gegen Hitler, und die braune Gefahr eingetreten waren.