Marlies Kalbhenn - Seh ich in Birkenau die Wolken ziehen In memoriam Gertrud Kolmar

Marlies Kalbhenn, Espelkamp
Seh ich in Birkenau die Wolken ziehen
In memoriam Gertrud Kolmar


Mitunter träume ich von einem grünen Kleide,
das mich, im Traum, flaumfederleicht umhüllt.
Das Kleid, es ist aus Dschungelpflanzenseide,
die meine Sehnsucht lindert, vielleicht stillt.

Und müsste ich einst fliehen vor den Schergen,
trüg mich das Grüne hin in jenes Papageienland,
an dessen Palmenküsten hinter sieben Bergen
so manche Heimatlose Heimat fand …

***

Ihr war es nicht vergönnt zu fliehen,
geschweige denn in ihrem grünen Kleid.
Seh ich in Birkenau die Wolken ziehen,
wünsch ich mich weit, weit fort aus dieser Zeit,

in der der Schoß, der immer fruchtbar war,
den alten Judenhass erneut gebiert.
Ich weine, Gertrud, um dein Kleid, dein Haar …
Die Krähen schreien. Und mich friert!

***

Die am 10. Dezember 1894 in Berlin geborene Dichterin Gertrud Kolmar wurde am 27. Februar 1943 im Verlauf der sogenannten Fabrikaktion verhaftet und am 2. März 1943 ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Von den etwa 1500 Berliner Jüdinnen und Ju-den, die am 3. März 1943 in Auschwitz ankamen, wurden etwa 820, darunter Gertrud Kolmar, vermutlich sofort nach der Ankunft „ins Gas geschickt“, das heißt: ermordet. – Gertrud Kolmar gilt heute als eine der bedeu-tendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts. Eines ihrer Gedichte trägt den Titel „Das grüne Kleid“.