Michael Fischer -Mini-Fabel

Mini-Fabel

Ein Alpha-Mann, der sich tagsüber im Arbeitsleben knallhart durchsetzte und beruflich über Leichen ging, frönte zur Entspannung des Abends und am Wochenende seinem Hobby: Er wandelte sich zum Naturfreund und beobachtete und fotografierte wilde Tiere, am liebsten solche des Waldes. Dazu hatte er sich ein komplettes Hirschfell besorgt – eine „Decke“, wie der Jäger sagt –, das er überzog, um sich möglichst nah an Hirschrudel anschleichen und herrliche Fotos schießen zu können.
Doch die Hirsche und Hirschkühe rochen den widerlichen Menschen- und Leichengeruch und nahmen stets schnellstens Reißaus und verschwanden.
Nach diversen Fehlschlägen wollte der Mann es ein letztes Mal versuchen, zumal er aufzugeben nicht gewohnt war, zog sich wieder das Fell über und ging in den Wald, wobei er diesmal sehr genau auf die Windrichtung achtete, um sich gegen sie anzuschleichen. Worauf er dabei nicht achtete, war ein alter Jäger, der, nicht mehr im Besitz eines brillanten Augenlichts, dafür aber eines Gewehrs, auf seinem Hochsitz saß, den Mann in der Dämmerung für einen echten Hirsch hielt und ihn versehentlich mit einem sauberen Blattschuss erlegte.

Moral 1: Es fallen nicht immer diejenigen auf äußeren Schein herein, deretwegen er inszeniert wurde.
Moral 2: Wenn ein Schweinehund ausnahmsweise mal etwas moralisch Einwandfreies macht, kann ihn gerade dabei die ausgleichende Gerechtigkeit, die Nemesis, treffen.
Moral 3: Man sollte nicht sich selbst das Fell über die Ohren ziehen – schon gar nicht in der Dämmerung im Wald.