Nahed Al Essa - Das Warten
Das Warten
Bei jedem Warten denke ich immer wieder daran.
Wie viele Male die Blätter der Bäume sich gefärbt ha-ben.
Wie lange blieb das Obst reif und wartete auf eine Hand, die es vom Runterfallen retten konnte oder ge-rettet hat.
Wie groß sie geworden sind – wie viele neue Zentime-ter sie zugenommen haben.
Das Warten hat auch meine Haare zu grau gefärbt. Wo-bei es immer noch Frühling ist.
Im Flughafen beobachtete ich das Display mit Tausen-den Augen ... mit den Augen meiner Seele ... wartete auf meine Seele ... wartete auf meine teuersten vier Augen. In einer Hand trug ich viele Ballons. In der zweiten Hand trug ich mein Herz. Der ganze Flughafen hörte seinen Schlag. Ich träumte von der Szene ihres Ankommens seit einem Jahr, einem Monat und zwölf Ta-gen. Es war uns eine lange, harte, eiserne Zeit. Als wir uns verabschiedet hatten, waren sie sehr tapfer, ich hatte befürchtet, ihre Gesichter zu vergessen. Meine Kinder.
Ich hatte in ihrer Unwissenheit die neue Sprache fleißig gelernt, um ihnen die Fremde zu erklären. Später sagte mir meine Tochter, ich hätte schon eine neue Zunge und zwei Stimmen.
Endlich landete das Flugzeug in Düsseldorf, die beiden sind Hand in Hand in das neue Land gegangen.
Ich beobachte das Nichts, in das sie eintreten werden.
Die Ballons sind geflogen und mein Herz ist gelandet.
Ich hole meine Stimme und lass sie raus wie meine Tränen.
Ich prüfe ihre Mimik und Gestik. Ich messe ihre Größe mit meinen Fingern …
Wir schleppen unser Vermissen, unsere wartenden Er-zählungen und die Koffer, während die Menschen uns anschauen ... mitweinen.
Ein Reisender, der der nächste Nachbar meiner Kinder im Flugzeug war, fragte uns: „Seit wann habt ihr euch nicht gesehen?“ Da antwortete mein Sohn ihm: „Seit einem Jahr, einem Monat, 12 Tagen und 10 Stunden.“
Seitdem denke ich bei jedem Warten an die längste Wartezeit meines Lebens und den engsten Warteraum.