Neue Züricher Zeitung rezensiert Doris Eggers Gedichtband 'IKarus - flieg nicht so'

28. Dezember 2010, Neue Zürcher Zeitung

http://www.nzz.ch/magazin/buchrezensionen/rauschender_wein_der_worte_1.8913156.html

Rauschender Wein der Worte

chl. ⋅ Doris Eggers Gedichte, aus der Not geboren, sind eine Antwort auf diese und zugleich ein Ringen mit ihr. Die Autorin, die kurz vor der Matura ihre Basler Schule gegen Kliniken und geschützte Wohn- und Werkstätten eintauschen musste und die vergangenen dreissig Jahre in solcher Umgebung verlebt hat, findet im Schreiben ein Gegengift, «wirksamer als jedes medikament». «In den buchstaben baden», Begeisterung am «rauschenden wein der worte», «läuterung» durch die entstehenden Texte, gar «heilschreiben»: Im Gedicht wird etwas von dem vielen, was sonst nicht sein kann, dennoch möglich. Dreimal hebt ein Gedicht an mit dem Stossseufzer: «Ach könnte ich doch nur», und einmal mit der Wunschvorstellung: «könnte ich schreiben / ich würde häuser / ja sogar wolkenkratzer / aus worten erbauen». Glücklicherweise gelingt das Schreiben bestens, auch wenn die Angst der Autorin, dass die Buchstaben sich ihr verweigern könnten, spürbar bleibt. Es sind keine Wolkenkratzer, die Egger erschafft, sondern zerbrechliche Porzellanpavillons. Viele ihrer Gedichte reagieren auf die widrigen Umstände, auf Isolation, Sprachnot oder Albdruck; allesamt sind sie von spröder Intensität, einige von grosser Ausdruckskraft. Bisweilen gelingt es Egger, die eigene Situation auszublenden, und dann erreichen ihre Gedichte eine besondere poetische Ausstrahlung. Beinahe unerwartet blitzen Ironie und Wortwitz auf, wie in den Gedichten «leben und sterben eines flohs» oder «fliegenpatsche aus der sicht des publikums».

Doris Egger: Ikarus – flieg nicht so. Gedichte. Geest-Verlag, Vechta 2010. 113 S., Fr. 15.–.