Noch einmal hervorgeholt: Buchtipp Mauerschatten von Helga Bürster und Marianne Pumb (2011 geschrieben von Udo Scheer)

Buch-Tipp: "Mauerschatten" von Helga Bürster und Marianne Pumb

 
 
Zwei Erzählerinnen aus Ost und West haben gemeinsam am Buch "Mauerschatten" geschrieben.

Zwei Erzählerinnen aus Ost und West haben gemeinsam am Buch "Mauerschatten" geschrieben.

Dieses Buch hat einen besonderen Hintergrund. Bei einer Leseveranstaltung ihres Verlages begegneten sich die Schauspielerin, Krimi- und Romanautorin Helga Bürster aus dem niedersächsischen Dötlingen und die Berliner Lyrikerin und Romanautorin Marianne Pumb. Es folgten lange Erzählabende über ihr Leben in Ost und West, und dabei kam ihnen die Idee für einen gemeinsamen Erzählband: Hilde (West) distanziert und überheblich, trifft auf Gunda (Ost), die ihre Seele bewahrt hat und offen und interessiert ist. Beide Frauen schildern aus ihrer Perspektive, was sie über die andere und ihr zunächst unwillkommenes Aufeinandertreffen denken. Denn wie es der Zufall will, begehen beide am 13. August, am Tag des Mauerbaus, ihren fünfzigsten Geburtstag. Hilde, aufgewachsen in einem Kaff in Norddeutschland, Single, Redakteurin bei einem Provinzblatt, flieht vor dem Geburtstagsbuffet mit den Kollegen und deren unweigerlichen Sprüchen: "Kaum zu glauben, aber wahr, die Hilde wird heut fünfzig Jahr ..." Gunda, Krankenschwester in Berlin, hat sich gerade von einer Erbschaft eine altersgerechte Wohnung geleistet und keine Lust, ihren Fünfzigsten zwischen Umzugskisten und nach immer gleichem Ritual mit den Söhnen und Verwandten zu verbringen.

 

So hat jede der beiden beschlossen, diesen besonderen Tag ganz für sich zu feiern. Das Beste ist da gerade gut genug: das Nobelhotel Adlon am Brandenburger Tor, und beide wären auch einem Abenteuer nicht abgeneigt. Doch das entwickelt sich anders, als sie es sich ausmalen. Dreist platziert Hilde sich an Gundas Tisch vor dem Hotel. Und recht bald geraten sie lautstark aneinander. Eine Schmiererei an der Quadriga, ein Windstoß, der Hildes ausgebreiteten Handtascheninhalt davon bläst, darunter ein Foto ihres polnischen Großvaters vor dem Brandenburger Tor, und das Wort "Fuck you" spielen eine Rolle. Der Kellner schlichtet mit einem Glas Prosecco auf Kosten des Hauses. Die beiden kommen tastend miteinander ins Gespräch. Nach einigen weiteren Turbulenzen, einem plötzlichem Gewitterguss und einer ersten Flasche Wein ist der Bann gebrochen. Gunda ist neugierig auf Geschichten und Hilde springt über ihren Schatten, Zug um Zug erzählen sie aus ihrem Leben: Gunda, die Pfarrerstochter, die als Frühchen auf die Welt kam und in der Backröhre warm gehalten wurde; Hilde, die als Tochter einer staatenlosen Dienstmagd mit Schuldkomplexen aufwuchs. Gunda, die kein Abitur machen durfte, die mit achtzehn schwanger wurde und mit ihrer großen Liebe Johannes eine Wohnung besetzte. Ihr Johannes wird später an der Mauer krank werden und diese nicht überleben. Hilde erzählt beschwipst, wie sie sich als Studentin in den radikalen K-Gruppen-Marxisten Kurt verliebte, aber seine glühenden Reden nicht wirklich verstand. Alles war für ihn eine revolutionäre Frage, auch die freie Liebe, solange Hilde nicht auch darauf bestand. Anfang der 90er Jahre trifft sie ihn noch einmal, da ist er Börsenmakler. Tragik, Komik und erfrischende Selbstironie gehen in diesem Buch nahtlos ineinander über. In der passend kontrastierenden Surrealität zwischen Bar, Hotelpool und Luxusdinner folgt man mit einem lachenden und einem weinenden Auge zwei Biografien, wie sie nur im Schatten der Mauer möglich waren. Irgendwann feiern Hilde und Gunda vor zunehmend pikierten Kellnern sich unterm Tisch an ihren Geburtstag heran. Doch das ist noch nicht das Ende dieser kurzweiligen Ost-West-Geschichte mit Tiefgang. Helga Bürster, Marianne Pumb: Mauerschatten. Geest-Verlag, Vechta-Langförden, 144, 142 S., 11 Euro

Udo Scheer / 13.08.11 / TLZ
Z82B8CL060093