Pädagogische Handreichungen für das Schreib- und Buchprojekt 'Märchenhaftes zwischen Emscher und Ruhr'

Märchenhaftes zwischen Emscher und Ruhr.
Kinder und Jugendliche erzählen ...

 
Handreichung
mit
pädagogischen Zusatzinformationen

Ein Buchprojekt in Kooperation zwischen dem
Grend-Bildungswerk in Essen und dem Geest-Verlag in Vechta

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit dem Buchprojekt „Märchenhaftes zwischen Emscher und Ruhr“ wollen wir gemeinsam mit Ihnen etwas Besonderes schaffen, und darum bitten wir Sie um Ihr Engagement.

Wir wollen

•  Kinder und Jugendliche bis in bildungsferne Schichten hinein zum freien
    Schreiben anregen,
•  ihnen über das Schreiben neue Perspektiven eröffnen, wie sie sich mit
    ihren Vorstellungen und Bedürfnissen in unsere Gesellschaft einbringen
    können,
•  für sie Leistungsanreize schaffen, indem herausragende „literarische"
    Einzelleistungen mit der Aufnahme in die Anthologie belohnt werden,
•  ihnen ein literarisches Podium für eine gelungene Verständigung mit sich
   selbst und anderen bieten,
•  Brücken bauen, wo es notwendig ist,
•  einen Beitrag zur ästhetischen Erziehung leisten,
•  auf literarischer Ebene Impulse für eine intensive Bildungsarbeit setzen.

Am Ende soll ein Buch stehen, in dem die interessantesten Texte veröffentlicht
werden, die im Rahmen des Projektes entstehen.

Die Chance zur Standortbestimmung

Eine ganze Reihe von Essener Anthologien konnten inzwischen veröffentlicht werden. Die Titel: „Fremd und doch daheim?!“, „Dann kam ein neuer Morgen“, „Heute ist Zeit für deine Träume“, „Pfade ins Revier – Pfade im Revier“ sowie „Ruhrkulturen. Was ich dir aus meiner Welt erzählen möchte“. Immer wieder ging es darum, einen ganz besonderen Blick auf die Sichtweisen von Jugendli-chen mit und ohne Migrationshintergrund in Essen/im Ruhrgebiet zu werfen.
 
Ganz alltägliche Probleme von Jugendlichen sollten in den Vordergrund gerückt werden, die bei einer gelungenen oder noch ausstehenden Integration in die Welt der Erwachsenen aufgetreten sind oder auftreten. Das soll auch bei dem neuen Buch so sein, trotzdem soll es diesmal ganz anders werden. Zum ersten Mal wollen wir nämlich ein bestimmtes Genre in den Mittelpunkt rücken und so den Blick auf das richten, was Kindern und Jugendlichen im Ruhrgebiet wichtig ist. Diesmal geht es um Märchen und das, was sie vermitteln.
Dass sich daraus wichtige Impulse für die Kinder- und Jugendpolitik sowie die Integrationspolitik ergeben können, liegt auf der Hand. Allen Institutionen, die mit jungen Menschen zu tun haben, wie Schulen, Jugendgruppen usw., bietet das Buchprojekt daher eine Chance zur Standortbestimmung: Erreichtes kann dokumentiert, noch nicht Mögliches verdeutlicht werden. Und vielleicht ist hin und wieder sogar mit neuen Einsichten zu rechnen, wenn ..., ja, wenn Sie, sehr geehrte Damen und Herren, den Kindern und Jugendlichen in Ihren Einrichtun-gen Raum geben, sich mit der Thematik zu befassen. Deshalb sprechen wir Sie an!

Worum geht es genau?

„Märchenhaftes zwischen Emscher und Ruhr“ ist der (Arbeits-)Titel für die neue Anthologie, die im Oktober 2010 im niedersächsischen Geest-Verlag erscheinen soll. In ihr geht es um Märchen und um Märchenhaftes. Bekanntlich sind Mär-chen Prosaerzählungen, die von wunderbaren Begebenheiten berichten, in denen eine jenseitige Welt in unsere Wirklichkeit eingreift und sie verändert. Sie sind angesiedelt zwischen Sagen, Fabeln und Legenden, vermitteln aber doch etwas Eigenes in der Art und Weise, wie sie zwischen der Traumwelt und dem Wirkli-chen hin und her wechseln. In ihrem Mittelpunkt stehen Könige und Königin-nen, Prinzen und Prinzessinnen, oft genug auch arme und einfache Leute, die aufgrund ihrer moralischen Grundhaltung ihr Glück finden oder dadurch, dass sie bestimmte Aufgaben erfüllen oder Prüfungen bestehen. Märchen sind in der Regel holzschnittartig angelegt und zeigen an, dass das Erlebte nach vielen Irr-wegen und Schwierigkeiten für den Protagonisten doch noch gut ausgeht. Immer wieder kommt dabei Hilfe von irgendwelchen Wesen aus der jenseitigen Welt, die dafür sorgen, dass Brücken gebaut und Widerstände überwunden werden. Und so treten in ihnen sprechende Tiere auf, Hexen, Zauberer und andere fantas-tische Gestalten.
Märchen handeln von Kampf und Sieg, von Intrigen und Mord, von Gefangen-schaft und Rettung, von schuldhaften Verstrickungen und Erlösung, aber auch von Werbung und Heirat. Thematisiert wird der Widerstreit von Sein und Schein, vom Sieg des Schwachen über den Starken oder auch die Verkehrung einer Situation in ihr Gegenteil.

 
Zwischen der Kinder- und der Erwachsenenwelt

Natürlich sind Zehn- bis Zwanzigjährige aus dem Märchenalter herausgewach-sen, gleichwohl kann gerade die Beschäftigung mit Märchen und Märchenhaf-tem sie ein Stück in ihrer psychosozialen Entwicklung voranbringen. Denn in-dem sie sich mit dieser Thematik beschäftigen und sie selber Märchen und mär-chenhafte Texte schreiben, setzen sie sich mit ihrer Kinderwelt auseinander und setzen diese in Beziehung zu ihren gegenwärtigen Erfahrungen. Sie thematisie-ren direkt oder indirekt den Bruch zwischen Kindheit und Erwachsenenwelt, den jeder Mensch durchlebt, und das ist entwicklungspsychologisch wichtig. Wie gehen Kinder und Jugendliche heute mit diesem Bruch um? Spielt das Mär-chenhafte in ihrem täglichen Leben zwischen Emscher und Ruhr noch eine Rol-le oder haben sie damit abgeschlossen? Sehnen sie sich zurück nach einer heilen Märchenwelt oder entwickeln sie vor ihrem Hintergrund Zukunftsperspektiven? Wie verarbeiten sie ihre Schwierigkeiten und wie lösen sie ihre Probleme? Wo-hin geht ihre Reise und was nehmen sie aus ihrer Kindheit mit? Eine spannende Sache, wenn Kinder und Jugendliche durch die „Märchenbrille“ unserer Er-wachsenenwelt ihren Spiegel vorhalten! Schließlich sind wir für sie verantwort-lich und haben die Aufgabe, sie auf ihrem Weg in ihre Zukunft zu unterstützen.

Baba Jaga, Scheherazade und die japanische Bambusprinzessin

Besonders wichtig ist das Märchen-Thema für Kinder und Jugendliche, deren Familien eine Migrationsgeschichte haben. Egal, ob sie der ersten, zweiten oder dritten Generation angehören, die hier im Ruhrgebiet lebt, sie alle haben eines gemeinsam: Sie bringen ihre jeweilige Märchenkultur mit. Mal ganz bewusst, mal schwingt das Märchenhafte einfach mit, ohne dass ihm eine besondere Be-deutung zugemessen wird. Welche Rolle spielt diese Märchenkultur im Leben dieser Familien? Haben die Kinder und Jugendlichen diese Traditionen abgelegt oder bewahren sie sie? Was bringen sie mit, wenn sie nicht mit Schneewittchen, sondern der Baba Jaga, Seheherazade oder gar der japanischen Bambusprinzes-sin groß geworden sind? Was bedeutet dieses andere Märchenerleben für ihr Leben hier im Revier mit seinen ganz anderen Anforderungen? Oder sind die Märchen aus anderen Kulturen mit den unsrigen vergleichbar? Verschmelzen sie miteinander oder bewahren sie ihre Eigenständigkeit? Was geschieht hier und was bedeuten diese Prozesse für die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen hier im Revier?
Auf jeden Fall sind Märchen Kindheitsmuster, die sie begleiten und beeinflus-sen, wenn sie ihren Platz bei uns zwischen Emscher und Ruhr suchen. Sie be-wahren viele kulturelle Schätze und halten sie gegenwärtig. Das gilt, wenn Kin-der und Jugendliche aus ihrer kulturellen Tradition heraus leben und wenn sie sich von ihr abgrenzen. Sie ist quasi die Folie, vor deren Hintergrund sie ihre Identität definieren und ihren Lebensweg im Hier und Jetzt finden.
 
Wenn Märchenmotive wandern

Zu fragen ist aber zudem danach, ob die Märchen aus ganz anderen Kulturen auch die Kinder und Jugendlichen prägen, deren Familien schon immer im Re-vier leben. Gibt es gerade bei den Volksmärchen, deren Motive ja zwischen den Kulturen hin und her wandern, trotz ihrer Unterschiedlichkeit einen „internatio-nalen“ Konsens, aus dem alle jungen Menschen schöpfen, ganz gleich, wo sie leben? Alles interessante Ansatzpunkte, Kinder und Jugendliche zu motivieren, eigene Märchen und Märchentexte zu schreiben. Denn daraus ergeben sich kon-krete Antworten auf diese Fragen.  
    
Von sich selbst erzählen

„Wer sich auf das Erzählen einlässt, der (...) tut es, um sein Leben zu leben.“ Dieser programmatische Satz, den Peter Bichsel 1982 in seinen Frankfurter Poe-tik-Vorlesungen geäußert hat (P. B., Der Leser. Das Erzählen, Darmstadt und Neuwied 1982), könnte auch für das stehen, was die neue Ruhrgebiets-Anthologie will. Wenn Kinder und Jugendliche erzählen, dann sind das keine Fingerübungen. Schon gar nicht, wenn es um Märchen und Märchenhaftes geht. Denn sie setzen sich in dem, was sie darstellen, mit ihren „märchenhaften“ Kindheitserfahrungen auseinander und beziehen diese auf ihre „märchenhafte“ Gegenwart. Was sie erzählen und wie sie dies tun, spiegelt also viel von dem, was in ihnen vorgeht. Und das ist wichtig, damit sie ihre persönliche Zukunft in unserer Gesellschaft finden. Wie verarbeiten sie das, was sie erlebt haben? Wie beschreiben sie, was gewesen ist? Welche Worte finden sie für die Fakten, wel-che für das, was es zu gestalten gilt? Welche Erkenntnisse führen sie weiter? Gehen sie auf Fantasiereisen oder bleiben sie im Hier und Jetzt stecken? Welche (literarische) Formkraft entwickeln sie, um das darzustellen, was sie darstellen wollen? Davon auszugehen ist auf jeden Fall, dass das, was bei ihnen auf erzäh-lerischer Ebene passiert, in vielerlei Hinsicht sein Pendant bei ihnen selbst fin-det. Und das ist gerade für ihr Lebensalter wichtig. Es ist ein Schritt sprachlicher „Verortung“, der sie den Blick nach vorne richten und Perspektiven entwickeln lässt. Was will ich? Was kann ich? Wie kann ich das, was ich will, erreichen? Es sind Fragen, die ihnen Wege eröffnen, sich kritisch und selbstkritisch mit der eigenen Zukunft zu befassen. Und für jeden, der mit jungen Menschen zu tun hat und sich für ihre Belange interessiert, etwas, an dem er eigentlich nicht vor-beigehen kann.

Ihre Aufgabe als Mulitplikator

Bitte fordern Sie Flyer für die Weitergabe an Ihre Schüler/innen, Kinder und Jugendlichen an, mit denen Sie arbeiten oder Kontakt haben. Geben Sie diese an die Kinder und Jugendlichen weiter. Nutzen Sie Ihre Position als Lehrer/in, Ju-gendleiter/in, Sozialarbeiter/in, Erzieher/in, Elternteil, usw. und geben Sie den  Kindern und Jugendlichen, die Sie betreuen, Raum und Zeit, Texte zum Thema „Märchenhaftes zwischen Emscher und Ruhr“ zu verfassen. Ermuntern Sie sie, in der Sprache zu schreiben, in der sie sich zu Hause fühlen! Ermutigen Sie sie, beraten Sie sie! Leiten Sie die gesammelten Texte bitte weiter!
 
Manchmal muss das freie Schreiben vielleicht noch geübt werden. Hilfestellung dazu bietet beispielsweise die Musenkussmischmaschine, eine Sammlung von 132 Schreibspielen, die Gerd Herholz, der Leiter vom Literaturbüro Ruhrgebiet, herausgegeben hat. Wie man dabei von kleinen Wortübungen bis hin zu umfas-senderen Aufgaben vorgehen kann, beschreibt beispielsweise der Jugendbuchau-tor und Schulschreiber Ralf Thenior in seinem Aufsatz: Das geheime Leben der Wörter. Freies Schreiben in der Schule.

Wichtige Hinweise

Selbstverständlich dürfen die Jugendlichen, vor allem die mit Migrationshin-tergrund, in der Sprache schreiben, in der sie sich zu Hause fühlen. In welcher, das sollte gegebenenfalls mit angegeben werden. Wenn Sie Fragen haben, dann melden Sie sich bitte bei uns! Wir beraten Sie gerne.

1 bis 3 Texte pro Person.

Die Ausschreibungsfrist endet am 15. Juli 2010.
Adresse:
Kulturzentrum Grend
z. Hd. Andreas Klink
Stichwort „märchenhaftes“
Westfalenstraße 311
45276 Essen

Absender (Straße, Hausnr., Ort, Telefonnummer, Email & Alter nicht vergessen!)
Die Jugendlichen, deren Texte aufgenommen werden, werden schriftlich infor-miert. Wer an dem Projekt teilnimmt, erklärt sich damit einverstanden, dass sein Beitrag in dem Buch und in Verbindung damit gegebenenfalls auch in anderen Medien veröffentlicht wird. Eingesandte Texte können leider nicht zurückge-schickt werden, der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Weitere Infos unter

www.märchenhaftes2010.de
www.arturnickel.de
www.geest-verlag.de  

Ausgewählte Literaturangaben

Gerd Herholz (Hg.): Die Musenkussmischmaschine, eine Sammlung von 132 Schreibspielen, Neue Deutsche Schule Verlagsgesellschaft, 3. überarb. Aufl. 2003, ISBN 3-87964-270-2; 13,80 Euro
Ralf Thenior: Das geheime Leben der Wörter. Freies Schreiben in der Schule, Dortmund 2004 unter www.literaturbuero-ruhr.de
(Schulschreiber 2001 - 2004 )

Im Oktober 2010 soll die Anthologie erscheinen und mit einer öffentlichen Le-sung präsentiert werden. Das geben wir rechtzeitig bekannt. Danach kann es weitere Lesungen und Veranstaltungen im Ruhrgebiet geben, um das Buch zu präsentieren und die in den Texten angesprochenen Themen in Schulen und an-deren Institutionen, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, zu diskutie-ren. Wenn Sie daran Interesse haben, Anregungen haben oder uns unterstützen möchten, wenden Sie sich bitte an uns.

Wir sind gespannt auf die Texte und verbleiben mit herzlichen Grüßen

Dr. Andreas Klink
Grend-Bildungswerk
im Kulturzentrum Grend
Westfalenstraße 311
45276 Essen
Tel.: 0201-85132-20
Fax: 0201-85132-50
info@märchenhaftes2010.de  
www.grend.de

Dr. Artur Nickel ( Lehrer und Autor in Essen )
Tel.: 0201-860696-30
Fax: 0201-86069631
arturnickel@web.de  
www.arturnickel.de

Alfred Büngen
Geest-Verlag
Lange Straße 41 A
49377 Vechta
Tel.: 04447-856580
Fax: 04447-856581
info@geest-verlag.de  
www.geest-verlag.de