Russland aktuell rezensiert Alexander Reisers 'Robbenjagd in Berlin'

Robbenjagd in Berlin? Ja klar, Alexander Reiser machts möglich. (Foto: Deeg/.rufo)
 
 
 
Freitag, 08.01.2010

Lesetipp: Zur Robbenjagd mit Russlanddeutschen

St. Petersburg. Welcher russische Emigrant schreibt auf deutsch Bücher
in Berlin? Nein, nicht nur Wladimir Kaminer. Auch Alexander Reiser
versteht es, spitz das Aussiedlerleben und die seltsamen Deutschen zu
porträtieren.

 
Kaminer („Russendisko“) kennt heute
fast jeder – Reiser eher nicht. Ich habe ihn zufälliger- und
glücklicherweise als Alexander Reser (so hieß er damals noch) Anfang
der 90er Jahre auf einer Recherchereise in Wladiwostok kennengelernt.
Er war frisch studierter Journalist (wie ich auch) und so etwas wie der
Sekretär der neu gegründeten lutheranischen Gemeinde in der Hafenstadt
am Pazifik.
Sein korrektes, aber etwas drolliges Hochdeutsch war faszinierend –
erst recht, als ich erfuhr, dass es seine Muttersprache ist: Alexander
wurde in einem sibirischen Dorf bei Omsk mit dem schönen Namen
Hoffnungstal geboren. Den dort üblichen schwäbischen Akzent habe er in
hartem Selbststudium abgelegt, berichtete Alexander damals.

Aus dem russischen Chaos in die deutsche Ordnung

Gegenüber
meinem geradlinigen westdeutschen Lebenslauf hatte er sich schon als
Seemann, Arbeiter in einer Fischfabrik und beim Eisenbahnbau und sogar
als Ginsengsammler und Pelztierjäger durch das Leben und die
fernöstliche Taiga geschlagen.

Während ich in den nächsten Jahren bewusst Russlands Chaos, Weite und
Herzlichkeit als Lebensumfeld wählte, hatte Alexander schon genug
davon: Ihn zog es aus Wladiwostok in die deutsche Ordnung. Als
Russlanddeutscher wanderte er nach Berlin aus.
Unser Kontakt ist damals abgebrochen, aber wie es ihm ergangen ist,
kann man auf höchst amüsante Art in seinem Buch „Robbenjagd in Berlin“
nachlesen. Angefangen beim Sprachtest, bei dem er sein Hochdeutsch
verheimlichte, um nur bloß wie ein waschechter Russlanddeutscher zu
erscheinen.
 
Bei Russland-Aktuell
• Jahresausklang in Leipzig: Kaminer und Russendisko (22.12.2009)

Über die dreiste Lügengeschichte, mit der er sich zwecks Visaerteilung
Zugang zur deutschen Botschaft in Moskau verschaffte. Und schließlich
allerlei seltsame Erfahrungen im Umgang mit deutschen
Eingliederungsbeamten, tumben oder schlitzohrigen alten wie neuen
Landsleuten, Wohnheimbewohnern, Möbelverkäufern und ganz „normalen“
Berlinern.

Tschuktschische Urkultur für deutsches Multi-Kulti

Der
Leser begleitet Reiser zum Arbeitseinsatz als Schwarzarbeiter beim Bau
des neuen Kanzleramtes, in den deutschen Wald und schließlich auch zu
einer schrägen Aufklärungsveranstaltung, bei der Multikulti-bemühten
Deutschen die Lebensweise tschuktschischer Robbenjäger und
Rentiernomaden als ur-russlanddeutsches Brauchtum verhökert wird.

Um zu erfahren, wie dieses seltsame, von der Geschichte nicht einmal
hin- und her geschobene Völkchen wirklich tickt und gestrickt ist,
empfiehlt sich dieses wahrlich auch nicht bierernste Büchlein allemal
mehr.
 

Ganz am Ende der Lektüre erfuhr ich dann schließlich auch, wie es kam,
dass mein freundlicher Wladiwostoker Kollege in Deutschland von Reser
in Reiser mutierte: Es war, wie so vieles beim Wechsel von einem
Kulturkreis in den anderen, ein Versehen. Eigentlich wollte er Rehser
heißen. Aber sei‘s drum, Hauptsache, er ist gut angekommen – wofür sein Humor ja ein guter Beleg ist.