Sönke Zander - Über die Menschen von der Waterkant
Über die Menschen von der Waterkant
Über die Menschen von der Waterkant
gibt es so manches uralte Klischee.
Sie werden ehrlich und wortkarg genannt,
ihr Sinn sei offen und frei wie die See.
Stolze Gestalten, friesische Hünen,
furchtlos, immer das Meer im Visier,
halten sie Wacht auf den Gipfeln der Dünen,
in der Hand stets die Flasche Jever-Bier.
Dann heißt es, sie lockten zwecks Strandräuberei
einst irrende Schiffe an ihre Küsten.
Das war vielleicht so, doch ist längst vorbei.
Heute plündern sie nur noch Touristen.
Der Flüssigkeit (nicht nur dem Meereswasser)
sind manche von ihnen sehr zugetan.
Ostfriesen dem Tee, doch andre, viel krasser,
fangen den Tag schon mit Kümmelschnaps an.
Der Wind weht mal gar nicht, mal stürmisch, mal frisch.
Sie bewahren angeblich immer die Ruhe.
Doch Heine schrieb einst, sie stänken nach Fisch.
Ihr Fisch kommt heut aus der Tiefkühltruhe.
Die wackeren Mannen, die tapfer und stolz
den Kampf aufnehmen mit Wellen und Meer,
eiserne Männer auf Schiffen aus Holz –
Klischees, doch gut für den Fremdenverkehr.
Der Fischer im Ölzeug mit Rauschebart,
die Hafenhure mit dem goldenen Herz
und der Seemann, der vor der großen Fahrt
zur Gitarre singt vom Abschiedsschmerz,
das ist alles Klischee, uraltes Klischee
aus vergessenen Filmen und nicht mehr von heute.
In Wirklichkeit nämlich sind die an der See
auch nicht anders als andere Leute.
Auch sie haben meist keine Yacht am Steg
und laufen dem Glück wie alle hinterher.
Doch immerhin haben sie ein Privileg:
Sie wohnen am Meer, dem salzigen Meer.