Sybille Fritsch Oppermann rezensiert I. J. Melodias Band 'Polaritäten'
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Sybille Fritsch-Oppermann mit I.J. Melodia* für die Repräsentanz NRW und alle Neugierigen:
POLARITÄTEN
Nicht lange nachdem ich, wie den Lyrikfreunden hier berichtet, der Redaktion der Literaturzeitschrift neolith mit Sitz in Wuppertal/NRW beigetreten war, veröffentlichte ein Redaktionskollege obigen Lyrikband im Geest-Verlag Visbek. Ich habe ihn dann bei einer Lesung von Autoren und Autorinnen des Verlages daraus vorlesen hören. Nun habe ich sein Buch in Ruhe oder eher in heller Aufregung gelesen:
I. J. Melodia, Polaritäten (mit Bildern von Bastian Kienitz), Geest-Verlag Visbek 2024: ISBN 978 - 3 - 86685 - 754 - 4, 12.00 € (und es wäre schön, es würde viele weitere Rezensionen finden).
Fünf sehr unterschiedliche Kapitel (Jugendjahre meiner Worte, Die Nebel in mir, Spiralgalaxien, Tinte fällt unter die Haut und Schnittmuster/Gedanken), die aber einiges gemeinsam haben:
Die Suche nach einer möglichen Verbindung von Vertikale und Horizontale, von Linie und Kreis, von Jetzt und Immer.
Und auf dieser Suche lässt Melodia die Worte zu Wort kommen. Und in ihren Jugendjahren klingen sie oft nach Meer und Sand, nach Verlust und neu Ankommen (müssen). "Dieses Meer hat keine Küsten" heißt eines der Gedichte in Teil 1 des Buches.
Die Beschreibungen von und Bilder der unumgänglichen Häutungen und Schuppungen gehen dabei wortwörtlich durch Mark und Bein, Haut und Knochen - bis aufs Blut. Die Fragen nach Sinn und Sünde werden Gestein und Metall abgeschürft und abgeschorft. Und eine Annäherung an Wirklichkeit (vor metaphysischen Metaphern und Wahrheitsansprüchen scheut diese Lyrik zurück) geschieht meistens im Zwiegespräch, auf Augenhöhe mit allem, was die Welt zu bieten hat. Mit rostigem Metall, mit Aphelien (den sonnenfernsten Punkten von Umlaufbahnen), Beton, Scherben, Libellen, Aaskäfern (Silphidae) und immer wieder Meer und Sand.
Leicht macht es der Autor den Lesenden nicht; jedenfalls nicht, wenn sie Andeutungen und Doppeldeutigkeiten alle entziffern, die Querverweise in die Welt der Kunst und der Natur alle finden wollen.
Viele Menschen treten nicht auf in diesen Gedichten. Ecce Homo - ein Mensch auf der Suche nach Sinn und Sich - und - einem Alter Ego: "So vergehen Tage und Nächte" / mit einem stummen Echo / und Grünspan auf der Haut" (S. 95). "Trage deine Stimme / noch immer in den Taschen / drehe sie auf links / Sie fällt mir ins Wort / ohne etwas zu sagen" (Seite 88)
Faszinierend die sprachlichen Figuren, mit denen Melodia um eine Annäherung an Unsagbares ringt - Zeilensprünge, Satzbrüche, Enjambements, Sprachspiele und Paradoxien auch; Synästesien längst nicht nur als rhetorisches Sprachmittel, Ausdruck auch sich verzerrender und überlappender Wirklichkeits- und Wahrnehmungsschichten - Lyrik als Onamantie und Mathematik?:
"0 - Parität
Du stehst im Kreis
und bist doch gerade
am Berührungspunkt
der Tage und Nächte
Zwischen beiden Seiten
einem Fremdkörper gleich
als Zwilling der Unendlichkeit
in einem Moment
gefangen
wirfst du deinen Schatten
über die Menschen
Menge des leeren Durchschnitts
mir hinter die Pupillen
Ich falle durch dich"
(Seite 123)
*Doch soll, wie schon beim letztenmal in dieser Rubrik der Autor selbst den zweiten Teil und damit das letzte Wort dieses Beitrags haben:
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