Text des Tages: Heike Avsar: Thank you for you’r smile - Brief an eine syrische Mutter -
Thank you for you’r smile
- Brief an eine syrische Mutter -
Ein kalter Wintermorgen um halb sieben in Berlin. Da sah ich dich, kleine bekopftuchte Frau, rot gefrorene Nase, neben dir ein junges Mädchen - deine Tochter, wie du mir später erzähltest.
Der Bahnsteig voller Menschen, die zur Arbeit wollten. Und doch konnte man dich nicht übersehen, wie du suchend zu deiner Tochter, dann wieder auf den Fahrtrichtungsanzeiger schautest, mit deiner Tochter sprachst, die mit dem Finger über all die bunten, verwirrenden Liniennetze des Falt-Fahrplans fuhr.
Das LaGeSo, Sammelstelle für Geflüchtete zur Registrierung und zentrale Leistungsstelle für Asylbewerber liegt nur wenige Bahnstationen von hier entfernt.
Ich ging zu dir und fragte: can I help you? Dann fuhr die S-Bahn ein, ich nahm dich an die Hand und sagte dir, ihr solltet mit mir kommen.
Wir setzten uns nebeneinander. Ich fragte dich, woher du kämst. Aus Syrien, jetzt in einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Spandau. Du hättest noch zwei jüngere Söhne, sie sprächen bereits ein wenig deutsch. Für Kinder ist es einfacher, eine fremde Sprache zu erlernen, antwortete ich dir.
„I’m a teacher in Syria,“ sagtest du. Ich sah in deinen Augen die Sehnsucht und den Schmerz, alles verloren zu haben. Ich streichelte über deinen Arm. Die Menschen um uns herum starrten uns an, wir spürten es beide.
Dann erklärte ich dir den Weg und wünschte dir alles Gute. Als du aussteigen musstest, nahmst du meine Hände in deine, sahst mich an und sagtest: thank you for you’r smile.
Erschrocken sah ich dich an: oh no, not for it! Doch du nicktest nur lächelnd und winktest mir noch einmal zu.
Ich spürte, wie beschämt ich war - deine Worte hallten immerzu in meinem Kopf nach. Als ich später die Straße entlang ging auf dem Weg in mein Büro, liefen mir Tränen über die Wangen, weil ich mich fragte, was dir alles auf dem mühsamen und weiten Weg aus deiner zerstörten Heimat Syrien widerfahren sein muss, und wie wenig willkommen du dich bei uns fühlst, dass du dich für ein Lächeln bedankst.
Im Büro angekommen, kochte ich mir einen Tee, dachte an dich, wie ihr stundenlang in der Kälte vor dem LaGeSo anstehen werdet. Euch wird kein heißer Tee gereicht werden, der ein wenig wärmen könnte.
Ich habe dich nicht vergessen, kleine fremde, syrische Frau. Und jetzt, kurz vor den Wahlen und gegen den unerträglichen Rechtspopulismus in unserem Land, widme ich diese Zeilen dir und all denen, die vor Krieg und Tod in ihrer Heimat flüchten mussten und alles verloren haben.
Ich wünsche dir, dass du hier, in der Fremde, frei von Ausländerhass, vielen freundlich lächelnden Menschen begegnest, sodass du nie wieder sagen musst:
thank you for you’r smile ...
Heike Avsar