Thomas Weiß mit begeisteter Rezension über Miriam Brümmer 'Aus der Nacht'

Miriam Brümmer, Aus der Nacht. Gedichte, Geest Verlag, Visbeck 2025, 180 S., 12,50 €, ISBN 978-3-69064-504-1.


Was kommt aus der Nacht? Manchmal eine tiefe, unaufgeregte Stille, die mich lauschen lehrt, ein wenig Glänzen von einem vorsichtigen Mond oder ein gelinder Duft, der mich ahnen lässt, dass es einen Morgen geben wird. Oder Schatten, die sich mir auf die Brust legen, dunkel. Oder Gespenster, die kommen, mich zu plagen. Oder lichtlose Leere, die mich in die Nacht zieht, ohne dass ich mich wehren kann.
Lebendiges und Vergängliches, Beruhigendes und Beklemmendes kommen aus der Nacht.
Miriam Brümmer weiß von beidem zu dichten – und im Gedicht zu erzählen. Schwarze Nacht wagt sich / zu nah an meinen Winter (98) und Lass die Nacht auf dem Pochen / im Spalt zwischen zwei Schlägen / Atem finden … / … bis das / Zittern der Luft Wort hält. (95). In ihren Gedichten geht die Autorin einen Weg, der fein, sehr aufmerksam nachgegangen werden muss, sollen sich Worte und Wendungen entfalten – von Ich war der Himmel über Hinter deinem Namen Nacht zu Lichtungen und zu dem Was kein Märchen ist (so Titel der insgesamt zehn Sammlungen von Gedichten). Es ist kein gerader Weg, keine ebene Bahn auf die sie die Leser*innen mitnimmt, es sind verschlungene Steigen durch Wortlandschaften, die Mühe bereiten können, die nur mit vorsichtigen Tritten zu bestehen sind: Meine Stimme spricht für die / die in der Nacht der Nächte / Platz erbaten, den es nicht gab, / die jetzt an scharfer / Schmerzkante hängen / ein ungelebtes Leben lang / in immer unbekanntem Land. (78) Wieviel von eigenen Erfahrungen an der Schmerzkante in Miriam Brümmers Gedichten mitschwingt, lässt sich erahnen.
Überhaupt: Die Stimme! 
Es ist – meines Erachtens – etwas Großes, wenn es Autor*innen gelingt, ihre eigene Stimme zu finden und Leser*innen mit „so noch nicht Gehörtem“ zu beeindrucken und zu beschäftigen. Miriam Brümmers Bilder sind so überraschend wie stimmig, sie öffnen den gewohnten Blick (manchmal mit Nachdruck) und nötigen dazu, noch einen fruchtbaren Moment beim eben Gelesenen zu verharren: Ich flöße dem Tod / die Milch der Worte ein (124). Sie kann das, weil sie der Sprache nicht gleich traut, vielmehr weiß: WAS ICH TUN MUSS // Ich werde die Sätze / entblößen, ihre Haut / schälen, bis auf / den Kern. (7) Damit beschreibt sie aber nicht bloß eine literarische, poetische Methode. Miriam Brümmers Gedichte zeigen an, dass dies ein durchaus schmerzhafter Prozess ist, der Kraft fordert, der gewagt werden muss. Und der sich – schreibend und lesend – lohnt: Ich lösche das Licht auf den Satzenden, / bis sie von vorne leuchten. (98)
„Aus der Nacht“ bietet, was Lyrik kann: Die Gedichte nehmen das Wort und die Worte ernst und machen sie durchscheinend, ohne zu viel zu verraten, ohne poetische Besserwisserei, sie geben mir Leser*in die Verantwortung für eine geduldige Lektüre und die Freiheit, mit Worten und Bildern ins Gespräch zu treten, den eigenen Weg zu beschreiten. Was nötig ist, denn es gilt für uns alle: MEINE HERKUNFT // liegt in den Zwischenräumen (50). Dieses Buch hilft, sie zu beschreiten und zu erkunden.


Thomas Weiß