Ulrike Quast - Toleranz auf Türkisch
Ulrike Quast
Toleranz auf Türkisch
Ich heiße Ahmet und komme aus der Türkei. Ahmet bedeutet der Lobenswerte. Und – ohne zu prahlen – kann ich von mir behaupten, dass ich überaus lobenswert bin. Warum? Weil jemand durch mich bekehrt wurde. Sie wollen wissen, wie ich das angestellt habe? So ganz verstehe ich das selbst nicht. Aber nun gut, ich kann Ihnen ja einmal die Geschichte erzählen. Haben Sie Zeit?
Im Grunde begann alles in meinem Dönerladen. Besser gesagt, im Restaurant meines Vaters vor Jahren in der Türkei. Ich galt damals als Teufelskoch. Meine Gerichte nannte man die „feurigen Satansbraten“. Sie waren so scharf, dass sie den Gästen wahre Sturzbäche von Tränen entlockten. Selbst dem hartgesottensten Macho trieb es den Schweiß aus allen Poren. Als die Gäste unserem Restaurant dann nach und nach fernblieben, schmiss mich mein Vater kurzerhand raus. Ich jobbte noch eine Zeit lang hier und da und siedelte schließlich nach Deutschland über. Seither sind meine Gewürzmischungen milder geworden.
Hier in Deutschland geht es mir gut. Ich habe die beste Frau der Welt und zwei süße Kinder. Leider sehe ich sie nur selten, denn ich arbeite oft bis in die Nacht hinein. Mein Dönerladen befindet sich gleich am Marktplatz um die Ecke und ist inzwischen stadtbekannt. Sogar aus den umliegenden Ortschaften kommen die Gäste zu mir. Wir sind wie eine große Familie. Ich serviere Apfeltee auf Kosten des Hauses, und wir reden über Wetter, Weltpolitik und die Launen der Frauen, was ja fast dasselbe ist.
Zu meinen Stammgästen gehören: Jan, der Müllfahrer, Katja, die Schuhverkäuferin von nebenan, der immer gut gelaunte Grigor, der aus Bulgarien hierherkam, Minka, die Katze vom alten Fritz … Ja, und dann ist da noch der Klaus. Woher er kommt und was er den lieben langen Tag so macht, weiß ich nicht. Jedenfalls betont er immer, ein echter Deutscher zu sein. Was das bedeutet, kann er mir auch nicht genau erklä-ren. Er fühlt sich halt so. Obwohl er äußerlich eher einem Japaner gleicht.
„Du bist zwar Türke, aber ich hab nichts gegen dich“, versichert mir Klaus so manches Mal. „Und dein Lahmacun ist erste Klasse.“
„Du bist auch ein passabler Kerl“, entgegne ich dann und klopfe ihm freundschaftlich auf die Schulter. Und das, obwohl er Protestant ist und sich meistens von Schweinefleisch ernährt. Bisschen Toleranz kann ja nicht schaden. Manchmal ist es besser, ein Auge zuzudrücken, als mit dem Finger auf jemanden zu zeigen.
Vor einigen Tagen kam Klaus mit einer Kabeltrommel zu mir. Ob ich ihm Strom geben könne. – Wie, bitte schön, gibt man jemandem Strom? Hier hast du mal einen Eimer Saft …? Natürlich keinen Apfelsaft, sondern den aus der Steckdose. – Jedenfalls beschwerte sich Klaus, dass man ihn in zwei Geschäften abgewiesen habe. Die deutschen Verkäuferinnen seien auch nicht mehr das, was sie mal waren. Er dehnte das Wort „deutsch“ wie Gummiband. Und obwohl ich nicht wusste, was er meinte, nickte ich ihm wohlmeinend zu. Dann starrte ich auf die Kabeltrommel.
„Wofür brauchst du den Strom eigentlich?“
„Auf dem Marktplatz ist eine Demo. Irgendwo müssen wir ja die Mikrofone anschließen. Also, hast du eine freie Steckdose?“
Ich führte ihn hinter die Theke und wies auf die Anschlussbuchse in der Wand. Er drückte den Stecker hinein. Dann versprach er im Gehen, dass ich bei ihm was gut habe. Aber man hilft doch gern.
Wenig später dröhnte dumpfe Musik vom Marktplatz. Eine gepresste Stimme hallte durch die offene Tür meines Ladens. „Heimat“ und „Abendland“ drang es verzerrt zu mir. Dazwischen lautes Gegröle der Menge. Nach der Veranstaltung strömte ein Dutzend Demonstranten in den Dönershop.
„Protestieren macht hungrig“, rief mir jemand lachend zu. Klaus kam als Letzter. Er legte einen Zwanzig-Euro-Schein auf die Theke.
„Geschenkt“, sagte ich nur und schob die Banknote zurück. Danach reichte ich ihm das Ende seines Kabels.
„Worum ging’s da draußen eigentlich?“, wollte ich wissen.
Klaus brummte etwas in seinen Bart und murmelte schließlich: „Das hat auch gar nichts mit dir zu tun.“
Als ich hartnäckig weiterfragte, hatte er es plötzlich eilig und ging. Von draußen rief er mir noch zu, ich solle mir bloß keine Gedanken machen. „Inzwischen bist du ja schon einer von uns. Das müssen die Hardliner eben auch mal schlucken.“
Irgendwie klang das so, als sollten mich diese Leute einverleiben.
In den folgenden Wochen mehrten sich die Demonstranten. Sie wetterten über die Lügenpresse und forderten den Heimatschutz. „Ausländer raus“, brüllten die Sprechchöre ohne Taktgefühl. Und jedes Mal erschien Klaus pünktlich vor den Veranstaltungen mit der Kabeltrommel unter dem Arm und wurde mit Strom versorgt.
„Und du hast auch kein Problem damit?“, fragte er letzte Woche.
„Warum sollte ich? Du bist doch fast wie ein Bruder für mich. Und unter Geschwistern hilft man sich nun mal. Du hättest das doch sicher auch für mich getan, oder?“
Ich weiß nicht warum, aber offenbar hatte ich einen Nerv getroffen. Jedenfalls verließ er mein Geschäft sehr nachdenklich und ohne noch etwas zu erwidern.
Ja, was soll ich sagen? Gestern erschien Klaus wie gewohnt vor der Demonstration in meinem Laden. Allerdings ohne Kabeltrommel. Als ich ihn fragend ansah, zeigte er auf den Marktplatz und meinte, dass er dort nicht mehr hingehe. Ich hätte ihn bekehrt. Er klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter. Dann bestellte er ein Lahmacun extra scharf. Und ich bereitete ein Spezialgericht zu wie früher in der Türkei.