Vanja Simeonova, Auf der Flucht

Vanja Simeonova, Bonn
Auf der Flucht


Flüchtlingsetüden

Flüchtlinge
willkommen
in Grenzen halten


Es gibt Knappheit und es gibt Hungersnot. Es gibt Frieden und es gibt Krieg. Das ist ein Unterschied. Kennt ihr ihn?
Wir schon.

Dieses Jahr waren wir über 80 Millionen. Nächstes Jahr werden wir mehr sein. Laut UNHCR ist eine Verbesserung der weltweiten Lage nicht in Sicht. Was habt ihr dafür getan, dass wir weniger werden, dass wir unsere Dörfer und Häuser nicht verlassen. Ihr habt Bomben geworfen, das habt ihr getan. Ihr bekämpft euch, indem ihr eure Bomben über unsere Häuser werft.

Es gibt einen Unterschied zwischen Game-shooting und Krieg. Kennt ihr ihn?
Wir schon.

Wer hat etwas dagegen getan, dass die halbe Menschheit auf der Flucht ist? Wer etwas dafür? Wer was davon gehabt? Wenn es so weitergeht – und es wird so weitergehen –, dauert es nicht lange, bis die gesamte Menschheit auf der Flucht ist. Spätestens dann werdet auch ihr und eure Kinder und Enkelkinder ein kleines Bündel mit Wertsachen packen müssen und eure wohlgepflegten Häuser mit Klimaanla-gen, gesprengtem Rasen und dreifach verglasten Fenstern verlassen. Und es wird euch nicht mehr da-rauf ankommen, ob das geliebte Auto einen Kratzer abgekriegt hat. Ihr werdet froh sein, wenn ihr etwas Fahrbares habt. Und den Sprit dafür. Und etwas zu essen. Die Wertsachen übrigens könnt ihr genauso gut auch dalassen, man wird sie euch ohnehin abnehmen. Das größere Problem aber, das unlösbare Rätsel, vor dem ihr stehen werdet, wird sein, dass es keinen Platz geben wird, keinen Ort, wohin ihr fliehen könntet. Die Welt wird eine gottlose Ruine sein, ein Scheiterhaufen, auf dem gekämpft, gefoltert, vergewaltigt und gemordet wird. Die Flucht wird kein Anfang sein. Und die Flucht wird kein Ende haben. Wie der ewige Jude werdet ihr, genauso wie wir, auf endlose Zeiten die Welt umwandern. Ihr werdet die Erde umkreisen in unauflösbarer Angst und Schrecken, auf der Suche nach einer Bleibe, die euch niemand wird gewähren. Ihr werdet alles und alle zerstört haben, es wird kein Land mehr geben, für uns nicht, für euch auch nicht.


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