Wendelin Mangold: Gedanken nach dem Besuch der Migrationsmesse in Bonn

CHINESE IM SPÄTHERBSTNEBEL

Ich nahm heute den Bangertweg (ein Begriff für die Königsteiner im Taunus) als Spaziergang, die Landschaft war in Nebel gehüllt mit einer Sicht von vielleicht 100 Metern. Die harte Landstraße, umsäumt von kahlen Apfelbäumen schlängelte sich hoch durch Acker und Wiese. Plötzlich löste sich eine Gestalt von einem der Bäume, klein von Wuchs, herbstlich gekleidet, bemützt, mit einer Feldtasche über die Schulter. Was hat seine Aufmerksamkeit gefesselt? Die Fülle der noch hängenden hellgrünen Spätäpfel? Er steckte im Gehen ein Gerät ein. Hat er fotografiert? Bei dieser milchwässrigen Sicht? Da ich einen schnelleren Schritt hatte, holte ich ihn bald ein und grüße beim Überholen, wie außerhalb der Stadt bei den Wanderern hier üblich ist: Hallo! Erst jetzt bemerkte ich, dass es ein Ausländer war, bestimmt ein Chinese. Statt meinen Gruß zu erwidern, frage er: Can he english? Ich verneinte: Can’t. Da zog er hastig aus seiner Feldtasche einen DIN-A5-Schreibblock, schlug ihn auf, blätterte die mit Hieroglyphen übersäten Seiten und zeigte auf ein schematisch gezeichnetes Bild. Nun begriff ich: Er will zur Burg. Ich zeigte ihm durch den undurchsichtigen Nebel die kürzeste Richtung über die nasse frostbereifte Graswiese und erklärte ihm mit Denglisch, Mimik und Zeichen, dass man auf hartem Gehweg bleiben soll trotz des großen Umwegs. Er bedankte sich, machte kehrt. Auf dem Rückweg traf ich ihn wieder beim Fotografiren von Bäumen und Sträuchern, und wir begrüßten uns wie gute alte Bekannte. Er murmelte etwas auf meine deutsche Frage. Für mich blieb es ein Rätsel: Hat er meinem Rat nicht befolgt oder war ihm der Weg zu weit! Ich war für einen Moment in Sorge: Vielleicht irrt der Chinese hier im Nebel und findet nicht den Weg zu seinem Ziel. Noch einmal zeigte ich ihm mit beiden Armen, dass man die Stadt und die Burg im großen Bogen, rechts oder links, erreichen kann. Er bedanke sich, nickte und ging weiter.