Yaka Saine, Bremen - Allein unter Menschen



Schreien. Auf einem Platz voller Menschen. Keiner hört mich. Keiner sieht mich. Ein resonanzleerer Raum. Ich blicke mich um. Kann es nicht fassen. Liege ich falsch? Ist das okay, was mir hier gerade passiert?
Eine Einkaufspassage in Bremen im Sommer. Menschen sitzen im Außenbereich des Restaurants. Passanten gehen ihren Einkäufen nach. Ich steige von meinem Rad und will noch schnell in den Elektronik-markt. Ich stelle mein kleines schwarzes Klapprad an ein Straßenschild, das die Fußgängerzone markiert. Mein Kleid raschelt und meine Locken tanzen im Wind. Die Sonne brennt auf meiner dunklen Haut. Ich höre Kinderlachen vom Spielplatz, der vor dem gro-ßen Kaufhaus angelegt ist. Ein leichter Wind trägt den süßen Duft des Blumengeschäfts zu mir rüber.
Ein Mann kommt auf mich zu während, ich noch an meinem Fahrradschloss herumfingere. Sein kurzes grau meliertes Haar lässt die blasse Kopfhaut durchschimmern. Er trägt verwaschene Jeans und T-Shirt und wirkt eher unauffällig. Mit seinen blauen Augen blinzelt er gegen die Sonne an und richtet in bellendem Ton das Wort an mich: „Hier darf man keine Räder abstellen!“ Wo das denn stehe, erwidere ich. Er deutet auf das alte Damenrad, das neben meinem steht. Unter den Gepäckträger ist ein Zettel geklemmt. „Da steht‘s doch!“, antwortet er mir. Ich überfliege den Zettel: nichts Offizielles. Ich schaue mich um: „Hier hängen aber nirgends Schilder!“ „Du darfst hier kein Fahrrad abstellen!“, besteht er und rutscht direkt ins „Du“. Genervt antworte ich: „Bist du das Ordnungsamt, oder was?! Hier steht nirgends ein Verbotsschild!“ Ich runzle die Stirn und mache mich auf zum Gehen. Der belehrungsfreudige Mann bricht ebenfalls auf und nuschelt im Weggehen: „Ja, so was kann Deutschland gebrauchen.“
Schockstarre. Ich fühle mein Herz klopfen. Meine Atmung ist flach. Ein dumpfes Gefühl im Magen. Wut. Sommer 2020. Pandemie. Hanau. George Floyd. Black Lives Matters. Ich, eine Schwarze* Krankenschwester.
„Wie bitte?!“, schreie ich. Er bleibt stehen, dreht sich um. Es platzt aus mir heraus und ich gebe ihm keine Chance zu antworten. „Ich reiße mir täglich den Arsch für Menschen wie dich, für deine Eltern, deine Verwandten, deine Leute in der Klinik auf!“ Meine Stimme ist laut, lauter, als ich sie je gehört habe. Sein lasches Widerwort „Ach, und ich arbeite nicht, oder was?“ überhöre ich einfach und schreie weiter: „Ich habe genauso viel Daseinsberechtigung wie du in diesem Land. Ich bin genauso deutsch wie du!“ Mein Hals kratzt. Passanten gucken. Keiner reagiert. Der Mann flüchtet, ich bleibe zurück.

Ich zittere am ganzen Körper und atme schwer. Ich stelle mich etwas abseits vom Ort des Geschehens in den Schatten. Mit nervösen Händen krame ich mei-nen Tabak hervor. Meine Finger zittern so sehr, dass ich Schwierigkeiten habe, mir eine Kippe zu drehen. Ich atme schnaufend. Meine Lippen aufeinandergepresst. Ich sehe verschwommen und schon kullert die erste Träne an meiner Wange herunter. Ich stehe da und weine allein. Den Kopf gesenkt ziehe ich an meiner Zigarette und inhaliere den Rauch. Passanten gehen ihren Einkäufen nach. Vom Spielplatz dringt Kinderlachen an meine Ohren.

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* „Schwarz“ wird großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt, und keine reelle ,Eigenschaft‘, die auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist. So bedeutet Schwarz-sein in diesem Kontext nicht, pauschal einer ,ethnischen Gruppe‘ zugeordnet zu werden, sondern ist auch mit der Erfahrung verbunden, auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen zu werden. (Eggers et. al. 2005,13 zit. n. Schearer & Haruna 2013, 17)
Quellen:
Jamie Schearer und Hadija Haruna, Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD-Bund) e. V. (2013): Über Schwarze Menschen in Deutschland berichten. In: AntiDiskriminierungsBüro (ADB) Köln/Öffentlichkeit gegen Gewalt e. V. (Hrsg.): Leitfaden für einen rassismuskritischen Sprachgebrauch. Handreichung für Journalis-tinnen. Köln. S.17-23.
Eggers, Maureen Maisha; Kilomba, Grada; Piesche, Peggy; Arndt, Susan (2005): Mythen, Masken und Subjekte. Münster: Unrast Verlag. S. 13.