zum 2. Weihnachtstag: Svenja Marie Bösing: Zu Bethlehem geboren

Zu Bethlehem geboren
Svenja Marie Bösing

Als er in den Himmel blickt, nimmt ihn das zurückhaltende Strahlen des Mondes vollkommen ein. Er hat Angst, dass er, wenn er blinzelt, etwas verpasst, und starrt wei-ter.
Kurz bevor die erste Träne seine Wange hinabrinnen kann, dreht er sich weg.
Es zieht ihn nach draußen, nachdem er darüber nachgedacht hat.
Das Jahr ging zu schnell vorbei, als dass er noch jeden Tag fühlen könnte. So wie früher.
Wenn er sich jetzt auflösen würde, würde die Zeit ihn vermissen?
Wäre er mehr als jemals zuvor, wenn er eins würde mit dem Boden, den er viel zu oft verlässt?
„Ich bin gezwungenermaßen sorglos.“
Manchmal wünscht er sich, seine Seele wäre außerhalb seines Körpers. Dann könnte er die Flügel seines Leichtmuts entketten.
Dann würden die Menschen, die ihm ent-gegenkommen, seinen süßen schweren Duft sehen. Dann könnte ihm jemand von Freiheit erzählen, ohne dass er mit Worten preisgeben müsste, was er fühlt.
Er trägt gerne Hüte und Mäntel. Er denkt, dass sie ihn verschließen vor der Welt, vor der er sich reißen und voller Sehnsucht offenbaren will.
Diese Sehnsucht füllt ihn bis zum Hals und hält ihn aufrecht. Sie führt ihn.
Auf Pfade, die sich nicht lohnen und die bitter sind.
Sein Ziel ist das Loslassen seiner Taue und das Zerschneiden seiner Segel, ohne jemals den Stillstand und immer die Atemlosigkeit zu erleben.

Wie würde er fliegen – und bald schon hörtest du das herrliche Schlagen seiner Fäuste an deiner Tür.
 

 

 

 

aus:

Straßenfeger
Literarischer Stadtführer
für die Stadt Vechta
Verfasst von der Schreibwerkstatt
des Gymnasiums Antonianum
Herausgegeben vom
Museum im Zeughaus, Stadt Vechta
Ein Communauten-Projekt
Fotos von Alfred Büngen
Geest-Verlag 2011