Zur Weihnacht 3: Reinhard Rakow - Und wieder ist Weihnacht
Und wieder ist Weihnacht
Und wieder ist Weihnacht
Und wieder hockt
Wer einsam ist
Eingeschlossen im Stall seiner
Verkoteten Gefühle
Ochs und Esel haben rechtzeitig
Urlaub genommen, Katze und Hund Reißaus
Laut jinglen Bells
Rockt Rudolph das Rentier
Salbadert der Papst
Aus dem Radio
Auf dem Tisch ein Plastikbaum mit Kerzenkette, bunt
Darunter die Flasche Springer Urvater halbvoll
Neben dem vergilbten Foto
Das zeigt wie´s damals war als
Die Welt noch heil schien
Wer kein eigenes Dach über dem Kopf hat
Den treibt es in Kinos Kneipen
Unterführungen
Bahnsteige
Wo er bewundern
Beneiden kann jene
Die reisen mit einem Ziel
Und die
Die sich schon vor den Zug geworfen haben
Heut ist die Zeit der großen Erinnerungen
An die verpassten Chancen
Die Zeit der Bewusstheit,
Dreck zu sein und
Niemanden zu haben
Heiligabend Du alljährliche
Nacht der Niemals-Wiederkehr
Vergänglicher Gelegenheiten,
Auch jener, endlich einmal
Einzureißen die Beton-
Dämme vor den Tränenseen
Tag für Tag gestaut
Bis hier und heute gesammelt
Grad für diesen Tag
Wer dabei nicht ertrinkt
Geht schwimmen, lässt
Sich treiben, etwa
In eine warme Intensivstation
Nach vorgetäuschtem Suizid-
versuch Oder nach einem echten
Um, aus dem künstlichen Schlaf
Gerissen durch laute Weihnachtsmusik
Von dem Lautsprecher über dem Bett
Zu erblicken das Kreuz an der Wand
Gegenüber, geschmückt mit langen Lamettafäden
Darin Wattespuren,
Noch alles aus dem Bestand
Von letztem Weihnachten.
2001
Reinhard Rakow