BERNER BÜCHERWOCHEN Henning Scherf erobert die St. Aegidius-Kirche (Nwz berichtet)

 Die NWZ berichtet über die Veranstaltung mit Henning Scherf

 

Charmant übers Alter plaudern

BERNER BÜCHERWOCHEN Henning Scherf erobert die St. Aegidius-Kirche

BEVOR ER ZUM THEMA KAM, NAHM DER BREMER EIN BAD IN DER MENGE. DIE LAUSCHTE ZWEI STUNDEN LANG GEBANNT.

VON RENATE DETJE

BERNE - „Das
ist eine der schönsten Kirchen Norddeutschlands“, sagt Henning Scherf
beim Betreten der St. Aegidius-Kirche. Er ist Gast der Berner
Bücherwochen und in sieben Minuten soll es losgehen. Rund 200 Zuhörer
warten gebannt, doch der ehemalige Bremer Bürgermeister lässt sich
nicht aus der Ruhe bringen. Während des Fotos für die Presse mit den
Schülerinnen Emily Meyer und Fine Pohlmann, beide lesen an diesem Abend
aus der Kinderanthologie „Heute ist meine Zeit“, nimmt Scherf den
beiden Achtjährigen, die eben überlegten, ob sie wirklich so vielen
Menschen vorlesen wollen, ganz nebenbei die Angst.

Schließlich hält es Scherf nicht mehr zurück. Er braucht sein Bad in
der Menge. Der stattliche Mann drängelt sich durch die Kirchenbänke und
jeder Besucher wird mit Handschlag und ein paar charmanten Worten
begrüßt.

Und dann geht es tatsächlich los. Der Tisch mit Stuhl im Altarraum
bleibt verwaist. Henning Scherf braucht die Nähe zu seinem Publikum und
das liebt ihn dafür. „Grau ist bunt – was im Alter möglich ist“ lautet
der Titel seines 2006 bei Herder erschienenen Buches. „Es ist ein
Thema, das ganz viele Leute interessiert. Aber ich habe auch richtige
Gegner zu der Problematik des Alterns, weil die damit ganz anders
umgehen“, sagt der 70-Jährige.

Er betrachtet es als Geschenk alt zu werden. In seiner
unverwechselbaren charmant-humorvollen Art liest er kleine Abschnitte
aus dem Buch. Mehr als zwei Stunden steht Scherf vor seinen Zuhörern.
„Ich komme mir vor wie ein 30-Jähriger und habe bald Goldene Hochzeit“,
sagt er schelmisch – man nimmt es ihm ab.

Er erzählt von Deutschlands bekanntester Wohngemeinschaft, dem
Mehrgenerationenhaus, in dem er in Bremen lebt. Er erinnert sich, wie
viel Mühe es gemacht hat, dass Haus altersgerecht herzurichten. „Es war
nicht alles Paletti, wir haben uns da ganz schön durchgewühlt.“

Seit dem Ruhestand entdeckt der sprichwörtliche Unruheständler ganz
neue Seiten an sich: „Ich wusste nicht, dass ich schreiben, malen und
kochen kann.“ Er kann es und ist glücklich damit. Doch das größte Glück
ist für ihn, wenn seine sieben Enkelkinder da sind und mit Opa
kuscheln. „Als Politiker hatte ich nie Zeit und kam mir vor, wie ein
Hamster im Laufrad. Heute komme ich mir wie ein Hamster vor, der den
Ausgang gefunden hat.“

Kritische Worte findet er zum Thema Pflege: „In unserer
Gesellschaft hat die Pflege einen viel zu geringen Stellenwert.“ Der
Abend endet mit einer Diskussionsrunde. Ein Abend, der nicht nur für
Henning Scherf, sondern auch für die Organisatoren ein voller Erfolg
war.