Gelungene Buchpremiere von Manfred Klinkebiel am gestrigen Abend im PFL Oldenburg

Eine gelungene Buchpremiere gab es am gestrigen Abend von Manfred Klinkebiel mit seinem neuen Band 'Anlässe'. Der Autor, Künstler und Musiker erläuterte zu Beginn den Zusammenhang von Musik und Sprache, gab auf dem Klavier zudem mehrere Beispiele über den Zusammenhang von Musik und Sprache.

Gekonnt fasste er zusem, wie in einem Mosaikstück anschließend für die Zuhörer die wesentlichen Inhalte seines neuen Buches 'Anlässe' zuzsammen. Dabei geht es in den verschiedensten Aufsätzen/Reden etc. des Buches stets um die Beleuchtung seines philosophischen Grundansatzes von Dokument und Utopie.

Die Zuhörer im PFL-Oldenburg waren sehr zufrieden und verweilten noch lange im gespräch.

 

 

„Kunst als Dokument und Kristallisation gelebten Lebens, nicht um ihrer
selbst willen, sondern als Lebensform, die Wirklichkeit als zu
gestaltendes Potential begreift, das von der Utopie eines besseren
Lebens her gespeist wird“ – in diesem Gedanken sind Fäden zusammen
gesponnen, die sich in den verschiedenen Beiträgen der vorlie¬genden
Sammlung in überraschenden, vielfarbigen Mustern und komplexen Texturen
wieder finden.
Ihr Verfasser Manfred Klinkebiel, Musiker, Lehrer, Maler und Philosoph
in einer Person, lädt uns mit diesen Texten ein, ihm auf seinen Wegen
des Nachdenkens zu folgen. Das sind keine einfachen Wege in
beschaulicher Umgebung, sondern Wege durch Bruchlandschaften der
Wirklichkeit - so Klinkebiel -, Wege, die verstellt sind von Illusionen
der Wahrnehmung und fehlleitenden Beschrei¬bungen, möglicherweise gar
von aufgezwungener scheinbarer Alternativlosigkeit.  Dem setzt Manfred
Klinkebiel die Strategie (das Denkhandwerk) seiner Philosophie des
Konkreten entgegen, das schwie¬rige Bemühen, zur ständigen Überprüfung
von Wahrnehmungen und damit zu einer Sichtweise von Wirklichkeit
vorzudringen, die authentisch, wahr¬haftig, ehrlich ist , und dabei ein
Ziel – die Utopie des besseren Lebens – nicht aus den Augen verliert.

Wie das gehen kann, zeigen die Texte. Anlass zum Schreiben ist
zumeist ein öffentliches Ereignis – etwa eine Ausstellungseröffnung,
die Einführung in ein Konzert, eine Dankesrede zur Entgegennahme eines
Preises, die Teilnahme an einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung.
Der öffentliche Raum schafft also für Manfred Klinkebiel eine
Gelegenheit des öffentlichen Nachdenkens, und zwar auf eine ganz eigene
Weise, die mir als abschichtende Reflexion zutreffend charakterisiert
zu sein scheint. Das Thema wird von allen Seiten befragt, jeder daraus
folgende Gedankenschritt wird kritisch  geprüft, Schicht um Schicht
durch Reflexion freige¬legt, erneut geprüft und erst dann
weitergeführt, schließlich zu einer Abstraktion verdichtet;
Wider¬ständigkeit gegen glattes Gedankenspiel und Eigensinn bei der
Durchdringung von scheinbar Gegebenem sind die Münze, in der hier
getauscht wird. Die Zuhörenden sind eingeladen, am Prozess des Denkens
- am Risiko des Philosophierens - unmittelbar teilzuhaben.

In immer neuen, überraschenden Zusammenhän¬gen bewegen sich die
Beiträge des hier vorgelegten Bandes vor allem um drei Themen: um die
komplexen Beziehungen zwischen Dokument und Utopie und zwischen
Wahrnehmung und Wirk¬lichkeit sowie um die Frage nach den Quellen der
menschlichen (Über-)Lebensenergie, die für Klinkebiel letztlich im
kindlichen Wesen liegen.
Dokument und Utopie – Klinkebiel knüpft hier unmit¬telbar an Joseph
Beuys’  Idee von der lebens¬bestimmenden Kraft des Gestaltens  in jedem
Menschen an. Das  schöpferische Produkt – Text, Bild, Komposition – ist
Dokument gelebten Lebens und enthält in seiner zeichenhaften
Verschlüsselung immer auch Utopisches: Sehnsüchte, Träume, Visionäres,
über den kreativen Menschen Hinausweisendes.
Wahrnehmung und Wirklichkeit – den darin enthaltenen zutiefst
widersprüchlichen und irritierenden Zusammenhängen und Verwicklungen
auf die Spur kommen, den Dingen auf den Grund gehen, sie begreifen
durch Verzerrungen und Entstellungen hindurch, der eigenen
Erkenntnis¬fähigkeit trauen, dabei „anfangen mit dem Jetzt als der
Synthese meines ganzen bisherigen Lebens, aller Erlebnisse, die jetzt
zusammenfließen, anfangen mit dem, was jetzt gültig ist, bei aller
Prüfung, die das erfordert, anfangen mit dem, was jetzt wirksam ist,
sich vielleicht durchsetzen will in eine konkrete Gestalt, wie diese
auch immer aussehen wird…“ – dieser Erkenntnisweg radikaler
Subjektivität gehört zum Kern des Entwurfs von Klinkebiels Philosophie
des Konkreten.
Beide Gedankenstränge werden mit einem dritten Gedanken verbunden: Das
in jedem Menschen vorhandene kreative Potential ist im Kind
allgegenwärtig und sichtbar. Dies zu dokumentieren und damit die
Erwachsenen zur Wiederentdeckung der eigenen kreativen Möglichkeiten
anzuregen - für Manfred Klinkebiel liegt darin die zentrale Aufgabe
seiner Arbeit als Lehrer und Lernbegleiter.

Kinder als Schöpfer – Auftrag an Erwachsene ist, ihren
Gestaltungskräften Raum zu geben und Raum zu lassen,  sie ohne
Vorbedingungen anzunehmen. Klinkebiel betont dies insbesondere
angesichts der Verletzungsoffenheit kindlicher Entwicklungspotentiale,
ihrer Gefährdung durch Armut, durch bedrückende Familienbeziehungen,
durch das Leistungskonzept des Systems Schule. Die kindliche
Verletzlichkeit berührt ihn zutiefst; sie ist ein praktischer Prüfstein
seiner Philosophie des Konkreten. Scharfe Gesellschaftskritik und
nach¬denkliche autobiografische Reflexionen haben hier ihren
Ausgangspunkt.  Es geht in den vorgeleg¬ten Texten daher an keiner
Stelle um abgehobene Gedankenspiele; es geht immer um das konkrete
Nachdenken über Wege zur Selbstermöglichung, um die Entwicklung
kreativer Ausdrucksformen in gesellschaftspraktischer Absicht, die
ihren Ausgang nehmen von  der Utopie eines besseren Lebens.

Heike Fleßner
Im März 2009