Marianne Pumb zum 50. Geburtstag - Wir gratulieren herzlichst

„Ich strudel gesalzen“
Alfred Büngen

Diesen Vers schreibt Marianne Pumb in einem ihrer Gedichte über die geliebte Ostsee. Besser hätte niemand über sie und ihr Verhältnis zur Welt in den 50 zurückliegenden Jahren schreiben können.
Marianne Pumb, engagierte Bürgerin, Kämpferin, Mutter, Freundin, Autorin. Letzteres soll im Mittelpunkt stehen in dieser Festschrift, doch sind ihre anderen Rollen mit der literarischen untrennbar verbunden. Enge literarische Freunde von Marianne Pumb haben ihren Beitrag geleistet zu dieser Festschrift, haben ihr jeweils ein Stück eigener Literatur gewidmet. Dafür auch an dieser Stelle meinen ganz besonderen Dank.

Seit 2002 darf ich Marianne Pumb und ihr literarisches Handeln als Verleger begleiten, etwas, das ich nicht missen möchte, hat es mich doch mehr als bereichert. Keines der Gespräche, Treffen, Telefonate mit ihr, keine der Lesungen sind verzichtbar, denn sie haben mich entscheidend mit geprägt in meiner eigenen ideologischen und auch literarischen Haltung.
Ihr erstes Manuskript, erste Gespräche vor nunmehr bald 10 Jahren. Eher machte sie, heute fast nicht denkbar, einen schüchternen Eindruck, ihre Gedichte, 2003 dann in der ‚Limettensonne’ veröffentlicht, zeigen eine persönliche und auch lyrische Standortbestimmung. Um es mit ihren eigenen Worten zu sagen: ‚ich gehe / falle / steh auf’. Im positivsten Sinne des Wortes legt sie Gedichte des Alltags vor. Anlass ihrer literarischen Äußerung und Auseinandersetzung sind persönliche Erlebnisse, Begegnungen, Eindrücke: Das Schamhaar in der Badewanne, die politische Meldung im Radio, der Satz des Vaters, das Fortziehen der Kinder aus der gemeinsamen Wohnung, der Vogel beim Blick aus dem Krankenhausfenster und vieles mehr.
Die Hinwendung zum Alltäglichen, die Poetisierung des Alltags sind si-cherlich ein grundlegendes, aber noch nicht entscheidenes Moment ih-rer literarischen Wortmeldungen, da die Literatur seit den 20/30er Jah-ren des letzten Jahrhunderts eine solche Hinwendung kennt. Entschei-dend ist vielmehr das elementare, nicht erlernbare Gefühl, welchen Dingen des Alltags man sich im literarischen Schreiben zuwendet. Nimmt man eine ‚ichbezogene psychologisierte Individualitätsanalyse’ mit dem Resultat der völligen Publikumsabwendung und einer indivi-duellen und literarischen Isolierung vor oder wendet man sich wie Ma-rianne Pumb den Situationen der Menschen zu, die sie berühren, die sie bewegen: Einsamkeitsgefühle, Ohnmachtsgefühle vor der sie umge-benden Gesellschaft, Gefühle zwischen Aufbruch und Resignation, Angst vor der Zukunft. Mehr als ein Leser gab bereits beim ersten Band von Marianne Pumb die Rückmeldung: Ihre Gedichte haben mir gehol-fen, haben mir Mut gemacht, haben mir neue Sichtweisen auf den All-tag ermöglicht.
Diese Fähigkeit, den elementaren Schreibanlass im Alltag zu finden, verstärkt sich in ihrem zweiten Lyrikband ‚Mit Flügeln flinkeln’ (2005) und prägt sich in ihrem erschienen dritten Band ‚Die Liebe scheint wirrich’ (2008) in besonderer Eindeutigkeit aus.
Bereits vorher kategorisierte ich diese Fähigkeit der Wahl des Schreibanlasses als nicht erlernbare Fähigkeit. Sie resultiert aus einer Lebensbiografie – verbunden mit erworbenen gesellschaftlichen und literarischen Grundhaltungen. Das von ihr in ihrem 2009 erschienenen Roman ‚Unter uns Pastorentöchtern …’ thematisierte Aufwachsen als Pastorentochter in der DDR prägte ihr Sichtweise entscheidend. Ein sich in intensiver Weise durch die Lebenshaltung der Eltern ergebender theologisch-philosophisch-literarisch moralisierter Lebensalltag schärfte ihren Blick für das Wesentliche hinter der alltäglichen Haltung von Mensch, Partei und Staat. Das DDR-System hat sie gegenüber jeglicher Ideologie skeptisch gemacht, zu oft ist ihr klar geworden, dass zwischen Handlung und ideologischer Absicht Widersprüche bestehen, Ideologie zu oft Enthumanisierung des Handelns bedeutet. Doch zugleich macht sie in diesem vielbeachteten Roman auch eindeutig fest: Wir sind niemals nur Opfer von Macht, wir – und schließt sich selber ein – wollen auch Macht ausüben.
Diese prägenden Erkenntnismomente sind zwar kein Garant dafür, die wesentlichen Dinge des menschlichen Lebens zu erfassen, bieten aber die notwendigen Voraussetzungen. Hinzu kommt die zu entwickelnde Fähigkeit, hinzuschauen, zuzuhören, zu beobachten, zu verstehen, Fähigkeiten, über die Marianne Pumb in besonderer Weise verfügt.
Zudem sind für eine Autorin natürlich das literarische Handwerkszeug und die literarische Originalität gefragt. Mit beidem ist Marianne Pumb in hervorragender Weise ausgestattet. Ihre Präzision des Schreibens, ihre Orientierung, eine Begrifflichkeit zu wählen, die jeder Leser versteht, auch wenn er das Gemeinte nur fühlen kann, ihre Lust und ihr Können am Wortspiel – das niemals Selbstzweck ist – zeichnen sie aus.
Und wie kommt sie uns inhaltlich in ihren Gedichten und Geschichten daher? Niemanden lässt die Lektüre eines Buches von Marianne Pumb unberührt, selbst wenn es um eine solch ‚exotische’ Begebenheit wie das Aufwachsen als Pastorentochter in der DDR geht. Ihre Orientierung an unseren – ich möchte es nennen – wesentlichen Alltäglichkeiten trifft uns. Sie arbeitet an Gefühlssituationen, die sonst kaum jemand an-spricht. Das bereits benannte Schamhaar in der Badewanne, die ver-schlissene Unterhose beim Arzt, den seltsamen Neid auf die neue Geliebte des ehemaligen Mannes, das Gefühl der Ausgrenzung und das Gefühl des Ausgrenzens. Das alles sind Tabuzonen in unserer doch an-sonsten so tabufreien Gesellschaft, denn sie stellen eins in den Mittel-punkt, von dem sonst nicht gesprochen wird – unsere Schwächen. Und sie bekennt sich zu diesen Schwächen, öffnet sich. Somit finden wir als Hörer, als Leser Zugang. Hör an, da gibt es jemand, die hat die kleinen Schwächen, die ich auch habe, die mich mehr bewegen als die großen gesellschaftlichen und politischen Themen.
Und ein Weiteres zeichnet Marianne Pumbs Gedichte und Geschichten aus. Sie sind überraschend. In dem einzelnen Gedicht, der einzelnen Geschichte finden wir fast immer eine letzte unerwartete Wende, ein nochmaliges Brechen unserer sicher geglaubten Einsicht in den Sachverhalt.
Und damit kehren wir zurück zu den Grundpositionen, die sich uns in den Gedichten und Erzählungen von Marianne Pumb bieten. Am Ende ihres ‚Raben’-Gedichtes stellt sie die Frage nach der Moral von der Geschichte. Und sie gibt die Antwort: Die gibt es nicht. Doch dies ist anders gemeint, als wir auf den ersten Blick vermuten. Marianne Pumb ist keinesfalls der Meinung, dass es keine Moral gibt. Die Isolation ihres lyrischen Ichs in ihren Arbeiten besteht nicht in einer Absonderung von einer umgebenden Welt. Im Gegenteil wirkt sich jede Handlung und Haltung des lyrischen Ichs auf die Welt aus und umgekehrt, es besteht eine dialektische Verbindung zwischen beiden. Sie akzeptiert nicht eine von außen aufgesetzte, ideologisierende Moral, glaubt vielmehr und betont immer wieder die sich entwickelnde Moral des Individuums in der Auseinandersetzung mit der es umgebenden Wirklichkeit, die wiederum ihre Auswirkung auf die Welt hat. „Ich gehöre mir“ verbalisiert sie in einem Gedicht und ist sich dennoch bewusst, dass sie das Ich nur im gesellschaftlichen Gefüge spüren kann.
Eine solch zutiefst humane Position kann, darf und muss alles hinterfragen und wird doch stets nur zu vorübergehenden Antworten kommen. Das macht sie für den Leser glaubwürdig, annehmbar und zugleich ‚unberechenbar’.
Sie „strudelt gesalzen“ – welch ein Glück.