Mit Tomas Tranströmer gewinnt ein außergewöhnlicher Lyriker den Nobelpreis für Literatur

Tomas Tranströmer [ˌtʊmːas ˈtɹɑːnstɹœməɹ] (* 15. April 1931 in Stockholm) ist ein schwedischer Lyriker. 2011 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur zugesprochen.[1] Sein Œuvre umfasst zwölf Gedichtbände, mit einem Gesamtvolumen von weniger als 500 Seiten. Zu den Kennzeichen seiner Lyrik zählt die höchstmögliche Verdichtung von Sprachbildern.

 

Leben

Der Vater des Lyrikers war Journalist, seine Mutter Lehrerin und nach der Scheidung alleinerziehend. Bevor der junge Tomas Tranströmer die Musik und die Kunst für sich entdeckte, wollte er Naturwissenschaftler oder Archäologe werden. Nach dem Abitur absolvierte er ein Studium der Psychologie an der Universität Stockholm, das er 1956 abschloss. Weitere vier Jahre blieb er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter, bevor er auf eine Stelle als Psychologe an die Jugendstrafanstalt Roxtuna wechselte.

1965 zog er nach Västerås, eine Stadt knapp 100 km westlich von Stockholm, wo er lange lebte. Er wurde dort mit den Jahren so hoch geschätzt, dass die Stadtoberen 1997 einen nach ihm benannten Tranströmer-Preis für Literatur einrichteten. Ab 1980 bis zum Ruhestand nahm Tranströmer eine Stelle als Arbeitspsychologe beim nationalen schwedischen Arbeitsamt wahr. Nach seiner Pensionierung zog Tranströmer mit seiner Frau Monica zurück nach Stockholm.

Tranströmer debütierte 1954 als 23-Jähriger mit dem Buch 17 dikter (17 Gedichte). Er experimentierte darin sogar mit Blankversen, bevorzugte aber später freie Rhythmen. Einige seiner nächsten Bücher, z. B. Hemligheter på vägen (1958) und Klangar och spår (1966), verarbeiteten Erlebnisse auf Auslandsreisen nach Spanien, auf den Balkan, nach Afrika und in die USA. Seine Texte entstehen immer wieder als Resultat einer Konfrontation mit anderen Künsten, so etwa sein poetisches Porträt Edvard Griegs oder sein Gedicht Ein Mensch aus Benin, das von einem afrikanischen Kunstwerk im Wiener Museum für Völkerkunde inspiriert wurde.

Eine produktive Künstlerfreundschaft verband Tranströmer mit dem US-amerikanischen Dichter Robert Bly. Sie übersetzten einander werkgetreu in die jeweilige Sprache des anderen und nahmen teils auch Gedichte des Gegenübers in eigene Veröffentlichungen auf. Der Bonniers Verlag gab 2001 zum 70. Geburtstag Tranströmers ein Buch mit der Korrespondenz der beiden Dichter aus den Jahren 1964 bis 1990 heraus.

Ein Schlaganfall im November 1990 hatte eine halbseitige Lähmung und Aphasie zur Folge. Nach einer längeren Rehabilitation war er jedoch wieder in der Lage, zu schreiben. Seine Frau Monica hilft ihm seitdem bei der Bearbeitung von Textentwürfen. Seine Gedichte wurden nach dem Schlaganfall kürzer und thematisieren nicht selten das Verhältnis des Dichters zu seiner Sprache.[2] Sein 1996 veröffentlichtes Buch Sorgegondolen (Die Trauergondel) verkaufte sich auf dem kleinen schwedischen Buchmarkt in einer Auflage von 30.000 Exemplaren. Tranströmer ist außerdem ein ausgewiesen begabter Amateurmusiker, der Orgel und Klavier spielt. Den stora gåtan (Das große Rätsel, 2004) befasst sich teilweise mit dem Thema des Todes, seinen Vorzeichen und Erfahrungen.

Aus der Ehe mit seiner Frau Monica Bladh gingen zwei Töchter hervor.

Poetik

Tomas Tranströmer setzt auf Intensität und eine höchstmögliche Verdichtung von Sprachbildern, die mit sehr wenigen Worten auskommt. Wirken will er allein durch die Vielfalt der Assoziationen und Balancierungen. Mit der Selbstdisziplinierung durch größtmögliche Verknappung der Rede gelangte Tranströmer schon seit den 1950ern immer wieder zu den strengen Formvorschriften des japanischen Haiku-Gedichts. Hier sind nicht Worte die Bausteine, sondern die Silben selbst.

Kompositorisch experimentierte er von Beginn an mit kühnen Metaphern, freien Rhythmen ebenso wie sapphischen Stanzen. Seine Wortwahl gilt jedoch als relativ moderat und unprätentiös, sein Stil als gewollt einfach, aber sehr rhythmisch und durch überraschende Momente und Assoziationssprünge spannend.

Inhaltlich geht es seltener um Naturbetrachtung oder abstrakt Philosophisches, sondern um Reflexion von Begegnungen im gelebten Alltag. Nicht die Außenwelt der Medien und Weltprobleme und auch nicht die Innenwelt der Nabelschau zu kurz gekommener Gefühle, Erinnerungen und Beziehungsdramen sind hier Thema, sondern die Konzentration auf den Moment und das Wesentliche des menschlichen Nahbereichs. Man könnte mit einem Titel Peter Handkes sprechen von der „Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“. Eine Rezension des Deutschlandradios bezeichnet ihn als „von Gerüchen, Farben, Schwingungen und Zwischentönen regiert“.

Literaturgeschichtlich steht Tranströmer der „Poésie purePaul Valérys nahe. Er macht gewissermaßen „l’art pour l’art“ (Kunst um der Kunst willen, ohne weitere Wirkungsabsicht), ist aber über die Perfektion der Form hinaus durchaus an der „Selbstbefragung des Psycho-Logischen“ interessiert. Einer literarischen Schule ist er nicht zuzuordnen. In der deutschsprachigen Lyrikszene des beginnenden 21. Jahrhunderts sind ihm die ebenfalls größtmöglich verdichteten Poeme einer Sarah Kirsch nahe, obschon diese immer eher der Naturlyrik zugewandt war. Allerdings hat er in den frühen 1970er Jahren, als das Buch Östersjöar entstand, die Natur der Schären-Küste rund um Stockholm in seinen Gedichten eingehend zur Sprache gebracht.

Tranströmers Poetik bringt eine Sprache hervor, die ohne Redeschwall auskommt und darin den Prinzipien des Zen-Buddhismus nahekommt: „Überdrüssig aller, die mit Worten, Worten, aber keiner Sprache daherkommen“ (Zitat aus dem Gedicht „Aus dem März ’79“, 1980 veröffentlicht).

Tranströmers Sprachkraft und Bildmächtigkeit machten ihn zum meistübersetzten skandinavischen Dichter in der englischsprachigen Welt des 20. Jahrhunderts, urteilte die Encyclopedia Britannica. Insgesamt ist er in über 50 Sprachen übersetzt.[3] Auf Deutsch sind samtliche Gedichte Tranströmers in Versionen von Hanns Grössel erschienen.

Auszeichnungen [Bearbeiten]

Im Jahr 1990 erhielt Tranströmer den Neustadt International Prize for Literature, bereits 1981 den Petrarca-Preis, 1966 den schwedischen Bellman-Preis, den Nordic Prize der Schwedischen Akademie 1991, den Horst-Bienek-Preis für Lyrik 1992 und den August-Preis 1996.

Für seinen Band För levande och döda erhielt er 1990 den renommierten Literaturpreis des Nordischen Rates.

2011 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur zugesprochen, „weil er uns in komprimierten, erhellenden Bildern neue Wege zum Wirklichen weist“.[1] Seit 1993 war Tranströmer jährlich für den Preis nominiert worden.[4]

Werke

Originalausgaben [

  • 17 dikter. Bonnier, Stockholm 1954
  • Hemligheter på vägen. Bonnier, Stockholm 1958
  • Den halvfärdiga himlen. Bonnier, Stockholm 1962
  • Klanger och spår. Bonnier, Stockholm 1966
  • Mörkerseende. Författarforlaget, Göteborg 1970
  • Stigar. Författarforlaget, Göteborg 1973, ISBN 91-7054-110-8
  • Östersjöar. Bonnier, Stockholm 1974, ISBN 91-0-039367-3
  • Sanningsbarriären. Bonnier, Stockholm 1978, ISBN 91-0-043684-4
  • Det vilda torget. Bonnier, Stockholm 1983, ISBN 91-0-046048-6
  • För levande och döda. Bonnier, Stockholm 1989, ISBN 91-0-047672-2
  • Minnena ser mig [Selbstbiografie]. Bonnier, Stockholm 1993, ISBN 91-0-055716-1
  • Sorgegondolen. Bonnier, Stockholm 1996, ISBN 91-0-056232-7
  • Air Mail. Brev 1964–1990. Brevväxling mellan Tomas Tranströmer och Robert Bly, Bonnier, Stockholm 2001, ISBN 91-0-057384-1
  • Fängelse. Nio haikudikter från Hällby ungdomsfängelse (1959). Edition Edda, Uppsala 2001, ISBN 91-89352-10-6
  • Den stora gåtan. Bonnier, Stockholm 2004, ISBN 91-0-010310-1
  • Jonas Ellerström (Hg.): Tomas Tranströmers ungdomsdikter. Ellerström, Lund 2011, ISBN 91-7247-261-8

Deutsche Ausgaben

  • Gedichte. Vom Autor durchgesehene Übersetzungen von Friedrich Ege, Pierre Zekeli und G.A. Modersohn. Literarisches Colloquium, Berlin 1969.
  • Formeln der Reise. Aus dem Schwedischen nachgedichtet von Friedrich Ege [et. al.]. Verlag Volk und Welt, Berlin 1983.
  • Der wilde Marktplatz. [Det vilda torget] Aus dem Schwedischen von Hanns Grössel. Hanser, München 1985, ISBN 3-446-14232-0
  • Der Mond und die Eiszeit. Übersetzung: Hanns Grössel. Piper, München 1992, ISBN 3-492-11379-6
  • Schmetterlingsmuseum. Fünf autobiographische Texte. Reclam, Leipzig 1992, ISBN 3-379-00740-4
  • Für Lebende und Tote. [För levande och döda] Aus dem Schwedischen von Hanns Grössel. Hanser, München 1993, ISBN 3-446-17390-0
  • Sämtliche Gedichte. Übersetzung: Hanns Grössel. Hanser, München 1997, ISBN 3-446-18961-0
  • Die Erinnerungen sehen mich. [Minnena ser mig] Übersetzung: Hanns Grössel. Hanser, München 1999, ISBN 3-446-19670-6
  • Einunddreißig Gedichte. Zweisprachige Ausgabe. Übersetzt von Hanns Grössel, ausgewählt von Heiner Boehncke, mit zwanzig Bildern von Christian Goldberg und einem Essay von Hans Jürgen Balmes. Ed. Goldberg, Stade 2002, ISBN 3-00-009717-1
  • Das große Rätsel. Gedichte. [Den stora gåtan] Zweisprachige Ausgabe. Übersetzt von Hanns Grössel. Hanser, München 2005, ISBN 3-446-20582-9
  • Ungdomsdikter/Jugendgedichte. Zweisprachige Ausgabe. Übersetzt von Hanns Grössel. Kleinheinrich, Münster 2011, ISBN 978-3-930754-68-7

Literatur

Bibliografie

  • Lennart Karlström: Tomas Tranströmer. En bibliografi. Kungl. Biblioteket, Stockholm 1990 (Band 1) und Stockholm 2001 (Band 2) (= Acta Bibliothecae regiae Stockholmiensis 50, 66), ISBN 91-7000-134-0 und ISBN 91-87264-60-9

Studien [Bearbeiten]

  • Kjell Espmark: Resans formler. En studie i Tomas Tranströmers poesi. Norstedt, Stockholm 1983, ISBN 91-1-833212-9
  • Joanna Bankier: The Sense of Time in the Poetry of Tomas Tranströmer. Berkeley 1985 [Ph. D. in Comparative Literature]
  • Staffan Bergsten: Den trösterika gåtan. Tio essäer om Tomas Tranströmers lyrik. FIB:s lyrikklubb, Stockholm 1989, ISBN 91-550-3424-1
  • Detlef Brennecke: Von Tegnér bis Tranströmer. Zwölf Essays zur schwedischen Literatur. Lang, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-631-43902-4
  • Niklas Schiöler: Koncentrationens konst. Tomas Tranströmers senare poesi. Bonnier, Stockholm 1999, ISBN 91-0-056913-5 [zugleich Diss. Göteborg 1999]
  • Staffan Bergsten: Tomas Tranströmer. Ett diktarporträtt. Bonnier, Stockholm 2011, ISBN 978-91-0-012515-8

Weblinks [

 Commons: Tomas Tranströmer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise [Bearbeiten]

  1. a b Der Nobelpreis in Literatur des Jahres 2011: Tomas Tranströmer bei svenskaakademien.se, 6. Oktober 2011 (abgerufen am 6. Oktober 2011).
  2. Torsten Rönnerstrand: Poesi ur afasi - ett tranströmerskt mirakel. In: Tvärrsnitt. 2006 (Online-Version)
  3. En mästare finner nya ord. In: Dagens Nyheter. 14. März 2011
  4. Sweden's Transtromer wins Nobel literature prize Reuters, 6. Oktober 2011

aus www.wikipedia.de