Kim Schneider - Sie nahm mich in den Arm (JUgendliche melden sich zu Wort)
Hördatei:
Sie nahm mich in den Arm und drückte mich
Wie jeden Morgen wachte ich auf und machte mich fertig, um in die
Schule zu gehen. Doch dieser Morgen war anders. Alles änderte sich.
Neuer Morgen, neues Leben, neues Ich.
Meine Eltern waren gerade erst geschieden wor-den. Ich wollte bei
meiner Mutter bleiben und meine jüngere Schwester bei meinem Vater.
Je-de von uns hatte jetzt ihr eigenes Zimmer, so, wie wir es immer
wollten. Doch irgendetwas war anders, und ich fragte mich, woran das
liegen könnte. Klar, wir wohnten nicht mehr alle zusammen und mussten
uns noch umstellen. Doch es war nicht nur die Umstellung. Mein Vater
wohnte weiterhin in unserer alten Wohnung, meine Mutter und ich waren
ein paar Häuser weitergezogen.
Nach ein paar Tagen merkte ich erst einmal, wie ungerecht alles
abgelaufen war. Alles, was mei-ne Eltern früher für die gemeinsame
Wohnung gekauft hatten, war von beiden finanziert wor-den. Jedoch hatte
meine Mutter bei der Schei-dung weder Geld noch irgendwelche
Gegen-stände für sich beansprucht. So sind wir mit unseren wenigen
Sachen hier in unsere kleine Zweieinhalbraumwohnung gezogen.
Für meine Mutter und mich war es ein harter Neuanfang. Jedes Wochenende
und jeden freien Tag arbeitete ich an unserer Wohnung. Ich tape-zierte
jeden Raum und versuchte schöne und fröhliche Farben zu mixen. Das
gelang mir ganz gut, und meine Mutter war glücklich und stolz auf mich.
Plötzlich fand ich beim Auspacken un-serer Umzugskisten mehrere Briefe.
Ich fragte mich, ob meine Mutter sie gelesen hatte, denn einige waren
noch nicht einmal geöffnet. Also machte ich die Briefe nacheinander auf
und be-kam einen Schock. Die Briefe waren von Inkasso – Diensten,
Rechtsanwälten und Gerichts-vollziehern. Es war mir ganz klar: MEINE
MUTTER HATTE SCHULDEN. Ich addierte die geforderten Summen aller Briefe
und kam auf einen Schuldenhaufen von 6000 Euro. Ich war geschockt. Wir
hatten kein Geld, um uns neue Möbel zu kaufen, und jetzt noch diese
Schulden! Wie kamen wir da bloß wieder raus? Meine Mutter arbeitete ja
nur als Aushilfskraft und empfing den Rest als „Hartz IV“.
Ich wusste, ich musste meiner Mutter irgendwie helfen. Ich ließ alles
stehen und liegen und setz-te mich an meinen Schreibtisch. Ich
berechnete alles sehr gründlich und erstellte einen Raten-plan. Diesen
stellte ich meiner Mutter vor, und sie begann aus Dankbarkeit zu
weinen. Sie nahm mich in den Arm und drückte mich.
Um ein neues Leben anfangen zu können, muss-ten wir zuerst diese
Schulden abbezahlen. Monat für Monat. Die Zeit war sehr hart und
an-strengend. Doch unser Leben bekam einen neuen Halt durch die
Hoffnung darauf, bald schuldenfrei und ohne finanzielle Probleme leben
zu können. Meine Mutter und ich haben uns zusammengerissen und genau
gewusst: Wenn wir das nicht packen, dann packen wir nichts! Nach
anderthalb Jahren hatten wir unser Ziel erreicht.
Heute sind wir endlich dabei, unsere Wohnung einzurichten. Klar, es war
sehr hart. Aber wenn man etwas erreichen will, muss man fest daran
glauben und natürlich einen klaren Kopf behalten. Meine Mutter und ich
wissen genau: Ohne einander hätten wir es nie geschafft!
Kim Schneider (Pseud.; 18 Jahre)