Geht in die Bindung - Vanja Simenova - Es wird niemals Freude sein

Vanja Michailova
ES WIRD NIEMALS
FREUDE SEIN
Gedichte
mit einer Nachbetrachtung
von Reinhard Rakow
Geest-Verlag 2012
ISBN 978-3-86685-357-7
188 S., 12 Euro

"„Ein Buch wie ein Schrei: ein Schrei von jemand, der fällt, von ziemlich weit oben. Es ist dunkel. Der Fal-lende und die Umstände seines Fallens sind nicht klar auszumachen, doch die Art, wie der Wind den Schrei ablenkt, zerfetzt, wieder einfängt, zeigt, dass er im Sinkflug trudelt, achterbahngleich, bevor er aufschlägt. Was bleibt, ist ein Wimmern.“ Das fiel mir ein, als ich Vanjas Gedichtband zum ersten Mal las. Geschrieben habe ich es 2005 zu Eva Strittmatters Buch ‚Der Win¬ter nach der schlimmen Liebe‘ (Aufbau-Verlag), einem, wenn man so will, lyrischen Protokoll einer Beinahe-Beziehung, einer „schlimmen Liebe“, in die die Stritt¬matter, die fast Siebzigjährige, sich bedingungslos gestürzt hatte. „Es ist die Zeit kühler Bilanzierung, heißer Verwünschung und vor allem die Zeit, sich die Seele waidwund aus dem (alten) Körper zu schreien. Die Schreie, die sie dabei ausstößt, verstören. Nicht nur, weil sie sie kaum ernsthaft durch die Tarnkappe eines ‚lyrischen Ichs‘ zu schützen sich müht. Nicht nur, weil sie alt ist. Sondern weil sie die-sen doppelten Tabu¬bruch vor aller Augen auch noch in alle Einzel¬heiten zerlegt.“
Alles, was ich bisher in Bezug auf die Strittmatter und deren Gedichte zitierte, ließe sich eins zu eins auf Vanja und ihre Gedichte übertragen. Sie schreien, sie bersten, sie wimmern. Es leidet ihr Ich an kommu-nikativer Erkaltung, Seelenschmerz, an Vereinsamung, Verzweiflung, weiß weder aus noch ein. Und auch Vanja schert sich in ihrer rasenden Verlorenheit einen Dreck um Tabus: „Ich bin ein alter Ast. ... / Wieso ist es gegeben, / dass alte, graue, faltige Frauen / ... / sich dennoch verknallen?“ oder: „Sei froh, dass du nicht / mein Spiegel bist und diese Fratze / tagtäglich sehen musst“. " (aus dem Nachwort von Reinhard Rakow)

VERWÜSTET

Ich sehe mich um:
alles verwüstet.
Sehe in mich hinein:
alles verbrannt …,
ausgebrannt.

Geblieben die Gedanken: Ein
glühender Wind auf der Haut.
Es lebt kein Leben in mir.
Alles zerbröselt … zu Staub.

Vertrocknete Kruste, die Seele.
Verkohltes Papier, das Herz.
Dornige Sträucher, die Gefühle.
Und ein endloser Schmerz ...

Jeder Schritt – ein Schritt auf der Glut.
Jede Träne –ein Rinnsal aus Feuer.
Jeder Traum – ein verbrannter Vogel.
Im Innern erlischt das Licht.

Flattert eine unsichere Hoffnung her,
eine zaghafte Sehnsucht im Flug?
Doch das unendliche weite Meer
ist nur trockener Schutt.