Jenny Schon - Heiliger Abendspaziergang (Gedicht des Tages)

Hördatei: 

Heiliger Abendspaziergang

Einzig unter
Den beutelträgern des heiligabends
Keinen beutel mit geschenken
Tragend schlüpfe ich
Am bahnhof grunewald in das
Blattlose dickicht mehltaunebel
Aus moderndem Laub
Aufsteigend bis zu den ersten
Zweigen hexenhäuschen
Mit puderzucker bestreut wie in
Kindertagen die wildschweine haben
Sich ins gestrüpp geflüchtet
Der schnee taut und pfützen spitzen auf

Am wannsee schaue ich auf die große
Graue fläche von wasser träge zur elbe
Sich schiebend schwer ist das land
Das sich an den ufern schleppt kein
Kahn der es bewegt nur die fähre
Nach kladow blinkt leise im zwielicht
Kleist hat seine gedanken zur
Unsterblichkeit nicht unterbrochen
Die zeit steht still bei den eichen
Ich bin eine komplizin im schattenreich
Der raunächte die im neuen jahr ihre
Herrschaft abgeben

Über das wasser gleitet unser
Boot vier menschen an bord
Die heiligabend
Ihren dienst tun unter dem
Konturenlosen Himmel
Über der havel der kapitän
Der schiffsjunge ein alter mann
Aktenlesend  und ich tiefatmend
Frei zu sein
Von den zwängen des konsums

Weitausholend dringt der klang
Der glocke der kladower dorfkirche
Auf dem heiligen hügel das terrain
Überragend aufs deck
Dem trägen fahrtwind trotzend
Ein brand hat 1808 die spätgotik 
Zerstört als noch ferne zeiten
Die dorflinde Zausten
Der pfarrer breitet die arme
Weit und hebt an zum gesang
Für die dreiheiligkeit
An der linde auf dem heiligen hügel
Gedenke ich der mütter die seit
Menschenzeiten auch an diesem tag
Kinder gebaren…"

Jenny Schon
24.12.2012