24. März 2013 - aktueller Autor - Edelhard Callies
Edelhard Karl-Heinz Callies,
geboren 1946, Lehrer i. R., lebt in der niedersächsischen Wesermarsch. Schriftstellerisch, tätig seit 1979. Veröffentlichungen von Lyrik und Prosa in verschiedenen Anthologien, ein fertiggestellter Roman. Zahlreiche Lesungen im bremischen und niedersächsischen Raum, Preisträger in zwei Lyrikwettbewerben.
Edelhard Callies
Der Vater (Ausschnitt aus der Erzählung, die in der Anthologie Wenden - Ein Lesbuch für die Wesermarsch' erscheint)
Die Familie hatte das Abendessen beendet. Am Kopf-ende saß Eduard, der Hausherr, graue kurze Haare, der weiße Bart gezwirbelt wie der des Kaisers. Seine hellblauen Augen gingen in die Runde: Kurt war wieder mal nicht da. Zum Essen hatten alle anwesend zu sein, verflixt noch mal!
Im Hof war das Quietschen und Klappern eines Fahr-rades zu hören, jemand pfiff ein Lied.
„Kurt kommt“, sagte die Mutter.
„Das ist nicht zu überhören“, sagte der Vater, „mit seinem Schrottrad blamiert er uns in der ganzen Ge-gend.“
Die Haustür klappte, Schritte im Flur, die Zimmertür öffnete sich vorsichtig. „Guten Abend! Entschuldigt, dass ich so spät komme, aber die Kette ist ein paar Mal abgesprungen. Ich hab’ ganz schwarze Finger.“
„Ist nicht so schlimm, Kurtchen“, sagte die Mutter. „Nun wasch’ dir erstmal die Hände. Warte, ich mach’ dir die Tür auf!“
Längere Zeit plätscherte Wasser in der Küche. Kurt er¬schien wieder, hängte seinen Mantel an die Garderobe und setzte sich an den Tisch. Die Mutter füllte ihm einen Teller Suppe auf und schob ihm Brot und Käse hin.
„Wird es Krieg geben?“, fragte sie leise.
„Ja, Mutter. Das sagen alle bei uns in der Zeitung. Unser Kaiser will Österreich beistehen.“
Die Mutter seufzte und setzte sich.
Kurt faltete die Hände, senkte den Kopf und schloss die Augen. Nach kurzer Stille begann er zu essen.
Der Vater warf ihm einen scharfen Blick zu. „Krieg oder nicht Krieg: Du warst gestern wieder tan¬zen. Stimmt das?“
Kurt schaute auf. „Ja“, sagte er zögernd und warf einen ärgerlichen Blick auf seine stillen Brüder, die angestrengt in ihre leeren Teller blickten, als wären sie nicht dabei gewesen.
„Hast du nicht mehr zu sagen?“
„Nein!“
„Hab’ ich dir nicht den Besuch dieses Lokals verboten? Hab’ ich dich vorige Woche nicht sogar persönlich vom Tanzboden runtergeholt? Antworte gefälligst!“
„Ja, hast du verboten, Vater. Aber was ist denn so schlimm daran? Nichts ist passiert. Lass mir doch auch mal eine Freude. Außerdem bin ich schon achtzehn und mache im nächsten Monat meine Gesellen¬prü¬fung.“
„Quatsch! Mit wem hast du getanzt? Wie heißt die?“
„Hildegard Ruppin.“
„Kenne ich nicht. Was macht die? Und was ist mit dem Elternhaus?“
„Der Vater ist tot. Die Hildegard arbeitet zusammen mit der Mutter in der Wäscherei Marquardt.“
„Also, arme Leute. Das ist kein Umgang für dich!“
„Aber Vater, ...“
„Wo wohnen die?“
„In der Raskowstraße, in den Steinbaracken.“
„Da wohnen ja nur Katholiken! Ist sie eine?“
„Sie hat mir nichts davon gesagt.“
„Dann ist sie eine!“
„Aber Vater, was hat denn ...?“
„Keine Widerrede! Solange du die Füße unter meinen Tisch steckst, wirst du mit solchen Leuten nicht ver-kehren, das lass dir ein für alle Mal gesagt sein! Eigen¬lich hättest du jetzt ein paar Maulschellen verdient, weil du keine Achtung vor deinem Vater hast und nicht gehorchen kannst!“
Die Mutter räusperte sich, als wolle sie zum Sprechen ansetzen. Der Vater schaute sie drohend an, und kein Wort kam über ihre Lippen.
Seine Stimme wurde leiser, klang unheilvoll und ge-fährlich. „Um dich in die richtigen Bahnen zu lenken, mein lieber Sohn, werde ich am Donnerstag zu deinem Chef gehen. Ich werde mich über dich erkundigen und ihn fragen, ob dein Lebenswandel deiner Ausbildung in der Druckerei nicht schadet. Ich glaube nicht, dass dein Chef es gutheißt, wenn seine Lehrlinge durch ihr Lot¬terleben den Ruf der Firma schädigen.“
Kurt war blass geworden. Er knetete nervös die Hän-de, konnte keinen klaren Gedanken fassen, geschwei-ge etwas sagen.
„Du solltest dich für deine Prüfung besser auf den Ho¬senboden setzen, statt abends immer mit dem Fahrrad rumzujuckeln! – So, und nun will ich dich heute Abend nicht mehr sehen. Geh’ in deine Kammer!“
Kurt erhob sich langsam. Unter den mitleidigen Blicken der Mutter und der Geschwister schlich er mit gesenk¬tem Kopf hinaus, warf sich auf sein Bett und starrte ins Dunkel.
„Verdammt, verdammt, verdammt!“, rief er halblaut und schlug jedes Mal mit den Fäusten auf das Bett.